Randbemerkung in einem Schulbuch, eingetragen im Sommer 1934: ‚Leck mich am Arsch, Faschisten-Häuptling.‘ Der Schüler ist sechzehn, der das schreibt. ‚Tod den Braunen.‘ Sein Schulweg ist längst nicht mehr sicher. Jungnazis schlägern in den Straßen von Köln. Sie verprügeln gleichaltrige ‚Gesinnungslumpen‘, besonders gern die kirchennahen, zu denen der Schüler gehört.
So beginnt das erste Kapitel – zu Heinrich Böll – in der lesenswerten Einführung in die deutschsprachige Nachkriegsliteratur von Peter Braun, die wohl vor allem für junge Leser gedacht ist; Von Blechtrommlern und Nestbeschmutzern: Deutsche Literaturgeschichte(n) nach 1945 (2010)
Peter Braun stellt sich auf seiner Homepage folgendermaßen vor: „gelernter Kfz-Mechaniker, arbeitet nach seinem Studium der Zahnmedizin als Publizist und freier Journalist.“ Kennt jemand einen kürzeren Lebenslauf? Und diese knappe, sofort auf den Punkt kommende Sprache zeichnet auch seine Einladung zum Entdecken der deutschsprachigen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg aus.
Insgesamt fünfzehn Schriftstellerinnen und Schriftsteller werden näher beleuchtet, und zwar in enger Verzahnung von Biografie, ihren wichtigsten Werken und der gesellschaftlich-politischen Großwetterlage. Das liest sich flott, durchaus zum Widerspruch anregend. Ich vermisste z. B. Elias Canetti, der immerhin 1981 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Die Lyrik wird nur gestreift und Nelly Sachs gar nicht erwähnt (Nobelpreis 1966). Erich Kästner wird nur als Autor von Kinderbüchern und Lyriker vorgestellt. Kein Wort über seine Romane für Erwachsene. Leider werden auch keine Quellen angegeben.
Aber der herrlich unakademische, d. h. überaus lesbare Stil und die Fülle an Informationen machen das wett und vor allem eins: Lust, sofort mindestens zehn der genannten Romane zu lesen oder wiederzulesen.
Mein Neffe ist vier, also doch noch ein wenig zu jung für das Buch, aber egal, ich habe Brauns Band Von Taugenichts bis Steppenwolf schon neben mir liegen.
… viele Bücher der Weltliteratur wurden irgendwo, irgendwann von irgendwem untersagt. Das wohl erstaunlichste Buchverbot: 1998, Kalifornien. Zwei Schulen verwehrten ihren Schülern das Märchen Little Red Riding Hood, das Rotkäppchen der Gebrüder Grimm. Begründung: Im Korb mit Geschenken, den Rotkäppchen zur Großmutter trägt, liegt eine Flasche Wein. Dies würde die Schüler zum Trinken verleiten. (S. 53)
Und noch eine völlig irrelevante Fußnote meinerseits: Im Kapitel über Thomas Bernhard wird Hedwig Stavianicek nicht erwähnt, die der Dichter als seinen „Lebensmenschen“ bezeichnete, dem er buchstäblich alles verdanke. Dieser Begriff geht angeblich auf Goethe zurück, dort noch in der Bedeutung „Mensch des Lebensgenusses“. 2008 dann wurde „Lebensmensch“ in Österreich zum Wort des Jahres. „Dies war eine Folge seines hohen Verbreitungsgrades im Oktober 2008, als Stefan Petzner den kurz zuvor tödlich verunglückten Jörg Haider in den Medien unter Tränen als seinen „Lebensmenschen“ bezeichnet hatte.“ (Wikipedia) Das hat Bernhard nicht verdient …
Peter Braun hat sich in Von Schatzinseln und weißen Walen (2011) auch der klassischen Abenteuerliteratur angenommen.
Ach, das ist ja auch ein interessanter Beitrag. Ich finde sowas ja zum Teil spannender, als die Literatur selbst. Bzw. fand ich in der Schule immer genial, das man Sekundärliteratur zu den Werken las. Leider macht man das heute gar nicht mehr (zumindest ich nicht, was ich wohl direkt mal ändern werde im Rahmen meiner Klassikerleserunde). Danke für das in Erinnerung rufen guter Schulzeiten und deren Inhalte.
Danke für den netten Kommentar und noch viel Spaß beim Lesen. Peter Braun kann ich wirklich empfehlen. Anna