Die meisten Menschen sind von stumpfer Phantasie. Was sie nicht unmittelbar anrührt, nicht aufdringlich spitzen Keil bis hart an ihre Sinne treibt, vermag sie kaum zu entfachen; geschieht aber einmal knapp vor ihren Augen, in unmittelbarer Tastnähe des Gefühls auch nur ein Geringes, sogleich regt es in ihnen übermäßige Leidenschaft. Sie ersetzen dann gewissermaßen die Seltenheit ihrer Anteilnahme durch eine unangebrachte und übertriebene Vehemenz.
aus der Erzählung Vierundzwanzig Stunden aus dem Leben einer Frau (1927) von Stefan Zweig
Wegen solch wunderbar kluger Beobachtungen seiner Mitmenschen schätze ich Stefan Zweig bis heute sehr – mag auch seine Sprache für den heutigen Geschmack bisweilen ein wenig pathetisch wirken.
Ja, man kann bei ihm immer wieder solche Stellen entdecken, aber manchmal erscheinen mir – gerade, nachdem ich jetzt mehrere Novellen von ihm hintereinander gelesen habe – die Wiederholungen, die Umschreibungen, das Umkreisen, das Pathetische doch ein wenig viel des Guten.
Zwei Leserinnen, eine Empfindung. 😉
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