On the boat we were mostly virgins. We had long black hair and flat wide feet and we were not very tall. Some of us had eaten nothing but rice gruel as young girls and had slightly bowed legs, and some of us were only fourteen years old and were still young girls ourselves. Some of us came from the city, and wore stylish city clothes, but many more of us came from the country and on the boat we wore the same old kimonos we’d been wearing for years – faded hand-me-downs from our sisters that had been patched and redyed many times.
So beginnt ein höchst erstaunlicher Roman der amerikanischen Schriftstellerin mit japanischen Wurzeln. Katja Scholtz übersetzte Wovon wir träumten ins Deutsche.
Ganz und gar ungewöhnlich an diesem Buch ist die Erzählperspektive, und in einer Rezension im Observer stand, dass ein solches Vorhaben eigentlich nicht gelingen könne und uns die Autorin zeige, dass es eben doch funktioniere, doch dazu später mehr.
Zum Inhalt
In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begeben sich viele junge Japanerinnen als sogenannte picture brides auf die beschwerliche Schiffsreise nach Kalifornien, um dort japanische Einwanderer zu heiraten, die sie nur von den Fotos der Heiratsvermittler kennen. Dort angekommen, müssen viele von ihnen feststellen, dass die Fotos zum Teil schon Jahrzehnte alt sind, dass nicht das große oder kleine Liebesglück mit Häuschen und Tulpen im Vorgarten auf sie wartet, sondern Knochenarbeit auf den Feldern, Armut und schweigsame oder trinkende Männer. Sie lernen die Sprache nur unzureichend. Und nur sehr sehr allmählich stabilisieren sich die Verhältnisse.
Manchmal können von den geringen Ersparnissen die ersten eigenen Lokale und Wäschereien eröffnet werden. Manch eine findet eine Anstellung in einem weißen Haushalt (samt der Nachstellungen des Hausherrn). Nachwuchs stellt sich ein, der bald eher amerikanisch als japanisch redet und sich oft genug seiner Herkunft schämt. Die Frauen bleiben – wenn auch als zuverlässige, billige und arbeitsame Arbeitskräfte geschätzt – immer geduldete Außenseiter. Das ändert sich im Zweiten Weltkrieg. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour beginnt eine hysterische Kampagne. Alle Japaner im weiteren Westküstenbereich werden der Kollaboration mit dem Feind verdächtigt und interniert oder umgesiedelt. Die Nachbarn schauen zu und nehmen’s hin.
Fazit
Das Ungewöhnliche an diesem Buch ist die Perspektive. Konsequent wird aus der „Wir-Perspektive“ geschrieben und so verschmelzen unzählige Stimmen zu einem gewaltigen Chor, in dem das einzelne, individuelle Schicksal eingebettet wird in einen nicht abreißenden Strom, und zwar, ohne dass es dadurch unpersönlich oder langweilig würde. Die Traumata solcher Lebensgeschichten werden in den Träumen und dem Heimweh spürbar:
And when we’d saved up enough money to help our parents live a more comfortable life we would pack up our things and go back home to Japan. It would be autumn, and our fathers would be out threshing in the fields. We would walk through the mulberry groves, past the big loquat tree and the old lotus pond, where we used to catch tadpoles in spring. Our dogs would come running up to us. Our neighbours would wave. Our mothers would be sitting by the well with their sleeves tied up, washing the evening’s rice. And when they saw us they would just stand up and stare: „Little girl,“ they would say to us, „where in the world have you been?“ (S. 53)
Nachgetragen sei hier noch das Gedicht von Mizuta Masahide (1657 – 1723), das die Autorin ganz an den Anfang ihres Romans stellt:
Barn’s burnt down —
now
I can see the moon.
Hätte ich vorher gewusst, welche Erzählperspektive Otsuka gewählt hat, ich wäre skeptisch gewesen. Doch das Vorhaben ist ihr gelungen. Elizabeth Day schreibt im Observer am 8. April 2012:
Instead of a single, named protagonist, Otsuka writes in the first personal plural through a series of thematic chapters. Such a device shouldn’t work but does. Although there are no dominant characters, Otsuka’s brilliance is that she is able to make us care about the crowd precisely because we can glimpse individual stories through the delicate layering of collective experience.
Zu Recht ist sie für dieses Buch nicht nur unter die fünf Finalisten des National Book Award 2011 gekommen, sie hat auch den PEN/Faulkner Award for Fiction und den David J. Langum Sr. Prize verliehen bekommen, einen amerikanischen Literaturpreis für Werke, die sich mit geschichtlichen Themen befassen. Johan Dehoust schreibt am 13. August 2012 im Spiegel:
Julie Otsuka stützt sich auf echte Schicksale, im Nachwort des Romans listet sie akribisch die historischen Quellen auf, auf die sie zurückgegriffen hat. Und nach ihrer Recherche scheint sie entgegen aller Erzählprinzipien beschlossen zu haben, so viele Figuren auftauchen zu lassen wie möglich. Dass man ihr Buch deshalb nicht völlig verwirrt über die Bettkante wirft, liegt neben Otsukas einzigartiger Sprache vor allem an der Perspektive: Die jungen Frauen sprechen in der Wir-Form, wie ein mächtiger, orakelhafter Chor, der einen in seinen Bann schlägt und nicht mehr loslässt.
Auch ihr erster Roman When the Emperor was Divine (2002) befasst sich mit der Geschichte japanischer Einwanderer in Amerika, diesmal zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Sie verarbeitet darin Erfahrungen ihrer eigenen Familie: „… her grandfather was arrested by the FBI as a suspected spy for Japan the day after Pearl Harbor was bombed, and her mother, uncle and grandmother spent three years in an internment camp in Topaz, Utah“ (siehe die Homepage der Autorin).
Wer mehr zum geschichtlichen Hintergrund wissen möchte, sei noch auf den Wikipedia-Artikel hingewiesen: Internierung japanischstämmiger Amerikaner.
Ich habe das Buch vor einigen Monaten gelesen und fand es – vor allem auch aufgrund der ungewöhnlichen Perspektive – grandios. 🙂
Hallo Mara, ja, das buch ist etwas besonderes, und ich bin froh, dass ich nicht vorher wusste, wie es aufgebaut ist, ich hätte das buch wohl nicht weiter beachtet. Fand es dann auch ganz spannend, deine besprechung zu lesen. Wie geht jemand anderes an das buch heran? und beim stöbern auf deinem so lesenswerten blog ging es mir wieder so, dass ich dachte, oh bloss nicht zu lange stöbern, sonst bricht der postbote wieder unter den päckchen zusammen. dir schöne viele herbstentdeckungen im land der bücher.
Ach, danke für deine lieben Worte bezüglich meines Blogs, sie haben mir gerade ein leises Lächeln auf die Lippen gezaubert. 🙂
Ich wusste über das Buch zuvor zum Glück auch nicht viel und habe mich ohne große Vorkenntnisse in die Lektüre gestürzt. Die Sprache und die gewählte Perspektive haben mich dann sehr unvermittelt begeistert. Es ist nur ein schmales Büchlein, enthält aber so viel.
Viele schöne Herbstentdeckungen wünsche ich dir auch! Im Moment lese ich „Gleitflug“ von Anne-Gine Goemans und bin hin und weg. Verzaubert. Begeistert.
Viele Grüße
Mara
Ich bin vor einigen Jahren zufällig darüber gestolpert und war absolut begeistert. Selbst beim zweiten und dritten Lesen habe ich es geliebt. 🙂
Ja, es wäre spannend zu sehen, wie es mir beim Wiederlesen gehen würde, aber zur Zeit liegt hier so viel anderes… LG, Anna
Auch für mich eines der großartigen Bücher der letzten Jahre. Schade, dass trotz des großen Erfolgs ihr erster Roman, den die erwähnst, bisher anscheinend nicht übersetzt wurde. Ich, die ich nicht so gerne fremdsprachlich lese, würde mich darüber freuen.
Huhu! Eine schöne Rezension! Ich habe es vor Kurzem gelesen und die Perspektiven waren so ungewöhnlich, dass ich immer wieder an die Geschichte zurückdenken muss 🙂
Liebe Grüße
Svenja (www.pantaubooks.wordpress.com)