Ein wunderlicher Pfarrer, der an der Amerikanisierung seiner Heimat und der Kulturlosigkeit des Dorfes, in dem er gelandet ist, allmählich verzweifelt, sehr viel Wetter, ab und an ein paar Touristen, knorrige Fischer, die hart arbeiten, sich nie viel werden leisten können und abends Pornos gucken, genügend Platz für geschundene Seelen und genügend Zeit für ernsthafte Gespräche, ein Dorf, in dem die Menschen zusammenhalten und sich umeinander kümmern, all das und noch ein bisschen mehr gibt es im Leben des jungen Fischers Halldór, der – wir erfahren später, warum – in diesem winzigen isländischen Fjorddorf Zuflucht und Heimat gefunden hat.
Der junge Mann, der uns hier seine Geschichte erzählt, ist noch keine dreißig und ist, sobald junge Frauen ins Spiel kommen, schrecklich schüchtern. Dennoch wünscht er sich nichts sehnlicher, als endlich seine große Liebe zu finden. Doch was tun, wenn sie dann vor einem steht?
Wenn er nicht beim Fischfang ist, weil das Wetter zu schlecht ist, dann schreibt er Tagebuch, liest sich durch die kleine Bücherei des Dorfes, vertreibt sich die Zeit mit seinen rauhbeinigen Kollegen im Fischerwohnheim, besucht einen alten bettlägrigen Mann oder hört seinem verehrten Onkel Gusi zu, wenn der von seinen Erinnerungen erzählt, die alle um den Fischfang kreisen, und den es – nicht nur ökonomisch – besonders hart trifft, als er einige Wochen aufgrund eines Verstoßes gegen die Fangquotenregelungen nicht ausfahren darf.
Also, ein ruhiges Buch, doch keines, das mich vollständig begeistern konnte. Nicht nur, weil die Herausgeberfiktion zu Beginn des Buches nicht aufgelöst wird.
Selbst wenn das geradezu pedantische Aufschreiben sämtlicher Wetterphänomene und Wolkenformationen und Lichtspiele im Rückblick einen Sinn ergibt und der Vergewisserung in einer als zutiefst unsicher erfahrenen Welt dienen könnte, hatte ich hin und wieder Mühe mit diesem gewollt melancholisch-humorvollen Ton. Auch wenn es uns allen gut täte, öfter die Wolken zu betrachten.
Das, was ich meine, ist: Während man auf die Wolken schaut, tut sich bei einem nichts anderes, und vielleicht ist es ein bisschen crazy, das zu sagen, aber mir geht es immer viel besser, wenn ich die Wolken betrachte. Es ist so, als würde sich etwas völlig anderes ereignen. Man wird an Land gespült wie ein Stück Holz und atmet leichter, als wäre man in einer anderen Zeit. Der Atem wird großartig, man ist frei von Gedanken und man muss vielleicht nicht tausend Jahre Herrlichkeit sehen, so wie in Büchern und Kinofilmen, sondern nur eine Sekunde von dieser anderen Art von Zeit erleben. Es ist einem für ein paar Augenblicke alles gleichgültig, obwohl das Leben vielleicht ein völliger Verhau ist. Wenn man in die Wolken schaut. (S. 127/128)
Manchmal fand ich keinen Zugang zu der eher plakativ vorgetragenen Kulturkritik, die einfach einigen Figuren in den Mund gelegt wird.
… und alle Literatur wird als irgendein Gemetzel zwischen den Geschlechtern gelesen, die Höchstgebildeteten sind meist damit beschäftigt, Stipendien und Titel herbeizuschaffen, für die Psychologie sind die Seele des Menschen und Gott nichts anderes als elektrische Ströme in der Gehirnrinde, und ehrlich gesagt, ist es wirklich schwierig geworden, echte Freude in irgendeinem Herzen zu finden, das man trifft, denn jeder spricht entweder gerade in sein Mobiltelefon oder muss sich beeilen oder irgendwelche Aktienkäufe checken. (S. 71/72)
Auch den schlicht-naiven Erzählton konnte ich mir bei einem jungen Zeitgenossen nicht so recht vorstellen. Zumal bei einem, der Bücher liest und aus der Stadt kommt. So heißt es beispielsweise von einem alten Mann, der gerade Witwer geworden ist, dass er
diese unvergesslichen Worte [sprach]: Ach so, ist sie tot? Sie ist bis jetzt noch nie gestorben. Und das war genau genommen ganz richtig, was Þorsteinn da sagte. (S. 27)
Doch mit Blick auf das Ende des Buches ließe sich auch hier einiges erklären und wird möglicherweise nachvollziehbarer.
Der Roman, der von Eleonore Gudmundsson ins Deutsche übersetzt wurde, wird mich wohl als Ganzes nicht länger beschäftigen, aber es gab eine Reihe Stellen, die mir ausnehmend gut gefielen und an denen ich mich entlanghangelte.
Einmal kommt ein Philosophie-Student zu Besuch, der gefragt wird, warum man eigentlich Philosophie studieren solle.
Der Philosophiemann starrte eine Weile konzentriert vor sich hin, so als feile er an einer guten Antwort, aber sagte dann: Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich studiere Philosophie, damit ich die Welt besser verstehe. Es war dann so, dass manche zu den Bergen aufblickten und sahen, dass bei dem warmen Wetter viel Eis in den Rinnen geschmolzen war, und andere auf den Fjord hinausspähten und sahen, wie die Wellen an der Schäre anbrandeten und daher kein Wetter zum Fischen war, und dann blickten Ebbi und Bensi einander an, dann den Philosophiemann, und einer von beiden sagte: Was ist es, mein Freund, das du nicht verstehst? (S. 25)
Doch mein Lieblingszitat ist dieses:
Und was ist dann noch übrig, das einem keiner wegnehmen kann? Wenn ich jetzt in diesem Westwind daran denke und auf das Moor hinausblicke, dann gibt es wahrscheinlich nichts, was die Welt einem nicht wegnehmen kann, wenn sie Lust dazu hat – mit Ausnahme der Bewunderung für das Wollgras im Moor. Mit seinen Haarschöpfen, weißer als Brandung und Engelsflügel, ist es das Feinste in dieser Landschaft. (S. 217)
Hier geht es lang zu Constanzes Besprechung auf Zeichen & Zeiten und auch Anke von Ankes Blog hat den Roman gelesen.