1968 erschien Désert solitaire des Amerikaners Edward Abbey. Was für ein grandioses, größenwahnsinniges, oft genug auch machohaftes Buch. Was für eine elegische und gleichzeitig weitsichtige Liebeserklärung an eine ganz besondere Gegend in Amerika, die man grob mit dem heutigen Arches National Park gleichsetzen kann.
Edward Paul Abbey (1927-1989), Englisch- und Philosophiestudium, fünfmal verheiratet, aufmüpfig, atheistisch, anachistisch, immer auf dem Radar des FBI, arbeitete 1956 und 1957 als Park Ranger im Arches National Monument, dem „schönsten Ort auf Erden“ (S. 15). Als Unterkunft dient ihm ein Wohnwagen.
Der Ort liegt in der Nähe von Moab, einer Kleinstadt im Südosten Utahs. Weshalb ich dort hingegangen bin, spielt keine Rolle mehr; was ich dort vorgefunden habe, ist das Thema dieses Buches. Mein Job begann mit dem ersten April und endete mit dem letzten Septembertag. Mir gefiel die Arbeit und das Canyonland und so kehrte ich im darauffolgenden Jahr für eine weitere Saison zurück. (S. 7)
Einige Jahre später bleibt er für eine dritte Saison.
Es waren schöne Zeiten damals, besonders in den ersten beiden Saisons. Der Tourismus war noch kaum entwickelt, und die Zeit verstrich äußerst langsam, so wie Zeit eben verstreichen sollte, in trägen und langen Tagen, die so weiträumig und frei wie die Sommer der Kindheit waren. Zeit genug also, nichts oder fast nichts zu tun, und das Meiste in diesem Buch habe ich ich, manchmal direkt und unverändert, den Seiten meines Tagebuchs entnommen, das ich in den nahtlos ineinander übergehenden Tagen jener großartigen Sommer führte und füllte. (S. 7)
Sein Job lässt ihm viel Zeit, denn vor allem soll er mit einem Pickup
die Straßen patrouillieren, Touristen aus der Patsche helfen, Feuerholz auf die Campingplätze bringen und den dort anfallenden Müll entsorgen. (S. 23)
Eigentlich wäre es schade, zu viel zum Inhalt zu verraten, denn dieses wilde Potpourri wartet auf beinahe jeder Seite mit Überraschungen auf.
Er will die Mäuse, die sich im Wohnwagen eingenistet haben, zwar nicht töten, holt sich aber eine Schlange in den Wagen, die dem Problem Abhilfe schaffen soll, listet seitenlang Blumen und Pflanzen auf. Kennt anscheinend jede Schlucht, jeden Berg mit Vornamen.
Er spottet über die Möchtegern-Cowboys und Cowgirls mit ihren schicken Cowboystiefeln, die sich – je weniger echten Viehtrieb es noch gibt – vermehren wie die Fliegen auf der Torte. Er philosophiert, z. B. über Naturschutz und die Frage, welche Musik eigentlich der Wüste gemäß sei, und polemisiert gegen die Anstrengungen der Parkverwaltungen, immer mehr Menschen in diese Wildnis zu bringen, koste es, was es wolle. Was wiederum genau das zerstöre, was man jetzt noch dort finden könne. Freiheit. Das Gefühl, Wege selbst zu entdecken. Abends allein am Lagerfeuer zu sein.
… bevor die Nacht aufzieht: Jeder Felsen, jeder Strauch und Baum, jede Blume, jeder Grashalm steht für sich, aufs Lebendigste vereinzelt, doch einander in einer Einheit verbunden, deren Großzügigkeit auch mich und meine Einsamkeit umfasst. (S. 131)
Leider sei der Amerikaner als solches ja nur noch fähig, sich in seinem Auto zu bewegen. Jeder Weg müsse asphaltiert werden und jeder Übergewichtige bis an den Rand des Grand Canyon fahren können. Traumhafte Canyons müssten geflutet werden, damit noch mehr Strom erzeugt werden könne. Irgendwann überall Müll, Leichtsinn und Touristen, die nach dem nächsten Cola-Automaten fragen.
Wie hellsichtig Abbey war, erkennt man daran, dass heute viele seiner Ideen (geführte Ranger-Touren und Shuttle Services statt überallhin mit dem eigenen PKW zu fahren) aufgegriffen werden, um der Touristenhorden einigermaßen Herr zu werden.
Es gibt lyrische Beschreibungen von Gewittern, Stürmen und Tagen, an denen er einem befreundeten Rancher hilft, dessen Vieh aus den Canyons zusammenzutreiben.
Er wandert, mal allein, mal mit einem Kumpel – Frauen spielen auf diesem unendlichen Abenteuerspielplatz nicht mit. Eindrücklich auch das Kapitel zu einer einwöchigen Bootstour, zusammen mit einem Freund, durch den Glen Canyon, der kurze Zeit später für immer und unwiederbringlich unter einem Stausee verschwunden sein wird.
Abbey klettert und kraxelt umher, auch mal ohne Karte oder mit nur ungenügend Wasservorräten ausgestattet. Gehört aber alles dazu, wenn man ein echter Kerl ist. Dennoch ein großer Respekt vor den Kräften der Wüste, die den Menschen in seine Grenzen weist. Wer das nicht versteht, endet wie der Tourist, den der Suchtrupp zwei Tage, nachdem man sein Auto gefunden hat, nur noch tot und aufgedunsen bergen kann.
Dazu Kapitel, die unglaublich plastisch und spannend eine Geschichte erzählen, sei es vom Goldrausch und maßlosen Profiteuren oder sei es von einem alten Pferd, das lieber in der Wüste hungert, als sich wieder von den Menschen einfangen zu lassen.
Die anarchistische Seite des Autors, die ihn immer wieder in Konflikte mit der Obrigkeit gebracht hat, schimmert durch, wenn er beispielsweise auch deshalb die Wildnis schützen möchte, damit die Unangepassten, die Revolutionäre immer einen Rückzugsort haben.
Nein, die Wildnis ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit für den menschlichen Geist und so unerlässlich für unser Leben wie Wasser und gutes Brot. Eine Zivilisation, die das Wenige, das noch von der Wildnis übrig ist, die Reserve, das Ursprüngliche, zerstört, schneidet sich von ihren Wurzeln ab und verrät das Prinzip der Zivilisation selbst. (S. 214)
Sein unbändiges tiefes Glück, einfach an diesem für ihn schönsten Ort der Welt sein zu können, sowie seine Trauer, dass der Mensch bereits im Begriff ist, vieles davon zu zerstören, teilen sich dem Leser mit. Als ich zwischendurch mal nach Fotos googelte, um mir von einzelnen Orten ein besseres Bild machen zu können, stellte sich das als überflüssig heraus. Seine Schilderungen waren so präzise, dass ich beim Anschauen der Bilder dachte, ja, genau, so hat er das beschrieben, so habe ich mir das vorgestellt.
Ob Sandsturm oder Sonnenschein, ich bin mit allem zufrieden, so lange ich bei guter Gesundheit bin, zu essen habe, die Erde, um darauf zu stehen, und Augenlicht, um zu sehen. (S. 48)
Das Buch setzt zwar einer Landschaft ein Denkmal. Es aber einfach als „nature writing“ einzusortieren, griffe zu kurz. Es ist großartige Literatur.
Mit einer Einschränkung: Das, was er in einem Kapitel über die Navajo schreibt, ist streckenweise unerträglich herablassend. Zwar möchte er den Ureinwohnern gern das Recht auf eigene Traditionen und Kultur einräumen, doch sobald er da von Geburtenkontrolle schwadroniert, klingt das, als müsse eine Kaninchenplage unter Kontrolle gebracht werden. Er selbst hatte übrigens fünf Kinder. Und kein Wort der Einsicht, dass für die Entstehung der sozialen misslichen Lage vieler Indiander ja der „weiße Mann“ verantwortlich ist.
… ein Mann an einem Tisch neben einem blinkenden Lagerfeuer, inmitten einer hügeligen Einöde aus Steinen und Dünen und Sandsteinmonumenten, die Einöde umgeben von dunklen Canyons und Flussläufen und Bergketten auf einem weiten Plateau, das sich über Colorado, Utah, New Mexico und Arizona erstreckt, und jenseits dieses Plateaus noch mehr Wüsten und größere Gebirge, die Rockies in der Abenddämmerung, die Sierra Nevadas, die in ihrem späten Nachmittag leuchten und weiter und noch weiter der abgedunkelte Osten, der funkelnde Pazifik, die gekrümmten Konturen der großen Erde selbst, und jenseits der Erde das Weltall mit Sonne und Sternen, dessen Grenzen für uns unerkundbar sind. (S. 271)
2016 brachte Matthes & Seitz die Übersetzung von Dirk Höfer unter dem Titel Die Einsamkeit der Wüste – Eine Zeit in der Wildnis auf den Markt. Herausgekommen ist dabei ein leinengebundenes Schmuckstück, bei dem ich mir allerdings gehaltvollere Informationen zum Autor, auch zu seinen rassistischen Ansichten, und zur Rezeption des Werkes gewünscht hätte.
Hier noch ein passender Artikel von John O’Connor aus der New York Times (2018).
