Richtig blöd, dass wir solche Bücher überhaupt brauchen, und richtig gut, dass es Journalisten gibt, die diese Bücher schreiben. Mir wurde jedenfalls einiges klarer.
2017, also vor „Black Lives Matter“ erschienen, liest sich das Buch des 1988 in Frankfurt geborenen Journalisten wie eine Einführung in die Privilegien, die die bio-deutsche Mehrheit (gilt aber auch für andere westliche Länder) gegenüber denen besitzt, die nicht ganz so bio-deutsch ausssehen und dunklere Haut und dunkle Haare haben.
Das Buch ist eine Einladung, die verschienden Bereiche zu erkunden, in denen Privilegien, die nicht hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden, zu klischeehaften Vorstellungen und letztlich rassistischen Strukturen führen können. Amjahid bezieht dabei sowohl eigene Erfahrungen und die seiner FreundInnen – er ist gebürtiger Marokkaner – als auch den Stand der Forschung mit ein.
Er spricht dabei unter anderem die Wichtigkeit der „richtigen“ Pass- und Hautfarbe an, die den großen Unterschied bei der Reisefreiheit und bei der Behandlung ausmacht, die man an den Grenzen dieser Welt erfährt. Gruselig, wenn man z. B. mit der falschen Hautfarbe von Mexiko nach Texas einreisen möchte.
Amjahid erklärt das Phänomen des Othering, wie man „den Fremden“ konstruiert, um ihm dann bestimmte negative Eigenschaften zuschreiben zu können, und geht in diesem Zusammenhang auch auf das Erbe des deutschen und europäischen Kolonialismus ein (siehe „Völkerschau“ und „Expo 1958“ in Belgien).
Ein Kapitel ist dem Bemühen um nicht-diskriminierende Sprache gewidmet und den Ewig-Gestrigen, die es für eine Zumutung halten, mal einige Begriffe aus ihrem Wortschatz zu streichen.
Ein anderes Kapitel geht dem Phänomen nach, dass Weiße oft meinen, „anderen“ die Welt und deutsche Fahrradwege erklären zu müssen, als ob sie allein Zivilisation, Intelligenz, Sprache und Anstand gepachtet hätten. Und da, wo auch Weiße ganz offensichtlich massiv gegen die Spielregeln verstoßen, erklärt man sie durch den Prozess des Othering kurzerhand zu White Trash.
Amjahid verschweigt nicht, dass Rassismus und koloniale Strukturen in der Selbstwahrnehmung der ehemals Unterdrückten weiterwirken können – man denke an Bleichcremes und das Herabschauen auf die, die noch dunkler sind als man selbst. Darüber hinaus wird das Konstrukt des Tokenism erläutert.
Außerdem wird thematisiert, wie sich die Berichterstattung in den Medien unterscheidet, je nachdem, ob ein Bio-Deutscher oder ein als fremd Wahrgenommener ein Verbrechen begangen hat. Welche Motivationen werden den Taten jeweils zugrundegelegt? Und was war Böhmermanns Text zu Erdogan eigentlich wirklich, wenn man das mal von der Seite weißer Privilegiertheit betrachtet?
Und schließlich: Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn einflussreiche Positionen in Wirtschaft, Bildung und den Medien fast ausschließlich von weißen Männern besetzt werden? Wenn die Entscheidungsträger in keiner Weise die Zusammensetzung der Gesellschaft widerspiegeln? Ich ergänze: Auch ganze Schulkollegien sind ausschließlich weiß besetzt.
Ebenfalls interessant war das Kapitel, in dem der Autor der Frage nachgeht, wie es sein kann, dass es innerhalb der Schwulenbewegung einen nicht unerheblichen Anteil an Rassisten gibt, ja einige bekennende AFD-Wähler sind. Wie komplex die Gemengelage da sein kann, sieht man schon bei dem ehemaligen niederländischen Politiker Pim Fortuyn.
In 188 Seiten kann man natürlich der Vielzahl der Themen nicht annähernd auf den Grund gehen, aber als Einstieg in die verschiedenen Aspekte weißer Privilegien und die Ebenen, auf denen Rassismus entgegengewirkt werden muss, habe ich das Buch als sehr hilfreich empfunden.
Ich musste öfter daran denken, wie ich vor drei Jahren einer jungen Frau, die Kopftuch trug, und die einige geflüchtete Frauen zum Deutschunterricht begleitete, Komplimente für ihr gutes Deutsch machte. Es stellte sich heraus, dass sie in Deutschland geboren ist und nur als Begleiterin fungierte. Es war mir total peinlich, doch ihre Antwort in ihrer Mischung aus Schlagfertigkeit, Charme und Selbstbewusstsein werde ich nicht vergessen. Sie lächelte mich an und sagte nur: „Ich weiß.“
In der nächsten Auflage würde ich mir noch ein Kapitel zu strittigen Bekleidungsfragen wünschen. Was sind das für müßige Diskussionen ums Kopftuch etc. Die Leserbriefe, die vor einigen Jahren durch unsere Lokalzeitung tobten, weil man befürchtete, im hiesigen Freibad könne mal eine Frau im Burkini auftauchen, waren jedenfalls von atemloser Schrillheit und Hysterie. Und die Fotos, aufgenommen 2016 am Strand in Nizza, in denen weiße Polizisten eine Burkini-Trägerin zwingen, mehr Haut zu zeigen, zeigten doch ein sehr sonderbares Verständnis von westlicher Freiheit.