Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe (OA 2005; deutsche Ausgabe 2013)

Hirata (*1967) setzt in dem bisher erfolgreichsten Buch eines indonesischen Autors seinen ehemaligen Mitschülern und seinen zwei Grundschullehrern, die an einer winzigen Zwergschule auf der Insel Belitung unterrichteten, ein liebenswertes Denkmal. Dieser manchmal auch etwas märchenhaft geratene Lobgesang auf das Recht auf Bildung beginnt mit den Sätzen:

An jenem Morgen hockte ich auf einer langen Bank im Schatten eines dicht belaubten Filicium, eines japanischen Baumfarns. Mein Vater saß neben mir, hatte mir den Arm um die Schultern gelegt und nickte den anderen Eltern und Kindern, die auf der Bank gegenüber saßen, mit einem Lächeln zu. Es war ein ganz besonderer Tag: mein erster Schultag.

Der Ich-Erzähler Ikal geht in Belitung zur Schule. Zwar wurde auf Belitung Jahrhunderte lang Zinn abgebaut, doch von den Bodenschätzen profitierte wie so oft die einheimische Bevölkerung am wenigsten. Zunächst bereicherten sich die niederländischen Kolonialmächte, die von ca. 1600 bis zum Zweiten Weltkrieg das Sagen hatten, und anschließend die Mittelschicht des Landes und die Besitzer und leitenden Angestellten einer Bergbaugesellschaft.

Die Bergbaugesellschaft betreibt auch eine eigene Schule, der Zugang ist allerdings nur Kindern der höheren Angestellten gestattet. Die Arbeiter, Fischer und Bauern bleiben bettelarm und schicken ihre Kinder meist erst gar nicht zur Schule, da diese zum Lebensunterhalt der Familien beitragen müssen. Und die, die trotzdem ihre Kinder schicken, haben, was die Schule angeht, ohnehin keine Wahl:

… und wir gehörten alle zur ärmsten Bevölkerungsschicht der Insel. Auch die Muhammadiyah (Name der Schule) war eine der ärmsten Dorfschulen auf Belitung. Es gab nur drei Gründe, warum unsere Eltern uns hier angemeldet hatten. Erstens, weil Muhammadiyah-Schulen keine Gebühren nahmen und sie lediglich freiwillige Beiträge zahlten, soweit sie es eben konnten. Zweitens, weil unsere Eltern hofften, dass eine frühe Unterweisung im Islam uns später vor schlechten Einflüssen bewahren würde. Und drittens, weil wir sowieso keinerlei Chance hatten, von einer anderen Schule genommen zu werden. (S. 8/9)

Schon der erste Schultag Ikals zeigt, wie gefährdet die kleine Schule ist. Der Schulinspektor will sie am liebsten schließen lassen und hat deshalb verfügt, dass zum neuen Schuljahr mindestens zehn Schüler zur Einschulung kommen müssen. Ihm ist diese heruntergekommene Schule ein Dorn im Auge und bei seinen Inspektionen findet er immer etwas zu beanstanden.

Unsere Schule war eine von Hunderten, wenn nicht Tausenden armer Schulen im Land, eine von der Sorte, die jederzeit in sich zusammenfallen konnte. Dazu hätte es nur eines Ziegenbocks bedurft, der hinter einer Ziege her war. Wir hatten nur zwei Lehrer für alle Fächer und alle Klassenstufen. Wir hatten keine Schuluniformen. Und wir hatten auch keine Toilette. Da unsere Schule am Waldrand lag, brauchten wir uns nur in die Büsche zu schlagen. Unsere Lehrer kamen immer mit, es hätte ja sein können, dass wir von einer Schlange gebissen worden wären. (S. 14)

Die Lehrer und Schüler kämpfen aber nicht nur mit dem vom Einsturz bedrohten Gebäude, dem Fehlen grundlegender Ausstattung und den Löchern im Dach. Wenn es regnet, versucht die fünfzehnjährige Lehrerin Bu Mus sich so gut es eben geht mit Bananenblättern zu schützen. Die zweite Gefahr geht von der Bergbaugesellschaft aus, die irgendwann Probebohrungen macht und Zinkvorkommen unter dem Schulhaus findet. Daraufhin rückten Bagger und große Maschinen an. Doch damit wollen sich weder die Schüler noch die zwei Lehrer abfinden, die sich zu allem anderen Ungemach ihren Lebensunterhalt auf andere Art und Weise verdienen müssen, denn entlohnt werden sie nicht.

Allmählich werden die Kinder älter und so lesen wir auch von der ersten Liebe Ikals. Am Abend seines ersten Rendezvous mit A Ling fahren die beiden mit einem Riesenrad:

Und dann schwiegen wir beide, schwiegen zusammen und wollten gar nicht wieder aussteigen. Das Riesenrad zeichnete mit seinen Lampen ein Muster in den Himmel. Mein Herz war weit. Dies war die schönste Nacht meines Lebens. (S. 133)

Leider endet die die Beziehung abrupt, weil A Ling von ihrer Familie nach Jakarta geschickt wird, um sich dort um eine Tante zu kümmern. Als Abschiedsgeschenk lässt sie ihm ein Buch zukommen, das mich dann doch überrascht, nämlich Der Doktor und das liebe Vieh von James Herriot. Das Buch heilt ihn von seinem Liebeskummer.

Ich war hingerissen von der Schönheit des kleinen Dorfes Edensor. Ich begriff, dass es außer der Liebe noch andere schöne Dinge gab auf der Welt. Herriots Beschreibungen waren so eindrücklich, dass ich meinte, den Duft der Narzissen und Aurikeln zu riechen, die an den Weidezäunen wucherten, von denen er erzählte. […] Es war wie ein Wunder, ich war wieder völlig gesund. Ich hatte eine neue Liebe, die in meiner zerschlissenen Tasche steckte. Das war Edensor. Nachdem ich 480 Stunden, 37 Minuten und 12 Sekunden den Verlust von A Ling beklagt hatte, beschloss ich mit dem Selbstmitleid aufzuhören. (S. 156/157)

Mit Humor und Wehmut erzählt hier einer eine Bildungsgeschichte der besonderen Art. Neben skurrilen Begebenheiten, Klassenstreichen und dem selbstlosen Einsatz der Lehrer werden die Mitschüler porträtiert und uns fremd anmutende Sitten und Gebräuche und der Einfluss von Aberglauben und Schamanen geschildert.

Allein in Indonesien verkaufte sich das Buch millionenfach und die Verfilmung wurde der erfolgreichste indonesische Film. Inzwischen gibt es drei Fortsetzungen.

Die Sprache ist einfach und die Erzählperspektive etwas wacklig. Manche Fragen z. B. zur Chronologie bleiben offen. Ob die von Hirata berichteten wundersamen Geschehnisse zutreffen – das Manuskript sei ihm gestohlen und ohne sein Wissen einem Verlag zugespielt worden -, sei dahingestellt. Und es irritiert, wenn im Buch das baufällige Schulgebäude zusammenbricht und Hirata trotzdem im Interview mit Wolfgang Herles behauptet, dass die große Scheune hinter ihnen genau diese Schule sein soll… So passen einige Details nicht recht zusammen. Man darf da wohl nicht alles als einen Tatsachenbericht lesen.

Dennoch: Es ist eine zutiefst menschliche, tolerante und warmherzige Geschichte, die einen Einblick in ein mir bisher unbekanntes Land gibt, und zugleich ein Plädoyer für das Recht auf Bildung und ein Loblied auf die Schule, das uns in Deutschland auch zu denken geben könnte:

Pak Harfan (der Lehrer) war allerdings nicht müde geworden, den Kindern klarzumachen, dass Wissen einen Wert für sich selbst darstellte und Erziehung eine Verpflichtung gegenüber dem Schöpfer bedeutete. Dass Schule nicht immer nur darauf abzielen musste, einen Titel zu erwerben, Geld zu verdienen oder gar reich zu werden. Schule bedeutete für ihn Wert und Würde, gelebte Menschlichkeit, sie war Lust am Lernen und Bildung. (S. 188)

Und zum Ethos des Lehrerberufs heißt es:

Ein Lehrer, dem ein Schüler abhandenkommt, ist wie ein Lehrer, dem die halbe Seele fehlt. (S. 207)

Wir in unserem reichen Land mit allgemeiner Schulpflicht sind da ja zum Glück schon weiter: Anstatt dafür zu sorgen, dass jedes Kind tatsächlich so unterstützt wird, dass es mit einem Schulabschluss, der nicht einfach hinterher geworfen wird, die Schule verlässt, gibt es ein Modellprojekt nach dem nächsten, in dem SchülerInnen, die ohne den Hauptschulabschluss die Schule verlassen, ein oder zwei Jahre geparkt werden, um bloß nichts am bisherigen dreigliedrigen System verändern zu müssen.

Wir verzetteln uns in albernen Papiertiger-Kompetenzbereich-Diskussionen und viele unserer Schüler (und Eltern) sehen Schule nun überhaupt nicht als die Institution an, in der man etwas lernen und sich dadurch sogar aus bedrückenden sozialen Rahmenbedingungen herausarbeiten kann, sondern eher als eine lästige Störung eines ansonsten unstrukturierten und regelfreien Aufbewahrungs-Spaßraums.

Wie ganz anders hingegen der Klassenkamerad Ikals: Lintang, ein hochbegabter Junge, versäumt nie auch nur einen einzigen Schultag, selbst wenn ihm wieder mal die Fahrradkette kaputtgeht oder ihm Krokodile den Weg versperren.

Lintang setzte immer wieder dem Unterricht zuliebe sein Leben aufs Spiel. Aber er fehlte niemals. Vierzig Kilometer  hatte er täglich auf seinem Schulweg zurückzulegen. Wenn der Unterricht bis zum Nachmittag dauerte, kam er erst bei Dunkelheit zu Hause an. Mich schauderte manchmal, wenn ich an seinen Schulweg dachte. Dabei waren noch gar nicht die anderen Schwierigkeiten eingerechnet, wie etwa Wege, die in der Regenzeit manchmal bis in Brusthöhe überflutet waren. Wenn das Wasser zu hoch war, ließ er sein Fahrrad an einem höhergelegenen Baum stehen, schwamm durchs Wasser und lief dann zu Fuß weiter. (S. 47)

Die Szene, in der Lintang im Auftrag der Mutter den kostbarsten Besitz seiner Familie verkauft – den Ehering seiner Eltern -, damit er sich eine neue Fahrradkette kaufen kann, gehört bestimmt zu den traurigsten Momenten der ganzen Geschichte und zeigt, wie viel Hoffnung die Familie in den Schulbesuch ihres Sohnes setzt.

Der Titel des Buches verdankt sich übrigens der Lehrerin Bu Mus:

Eines Nachmittags – es hatte den ganzen Tag über stark geregnet – erschien ein perfekter Regenbogen am Himmel, ein voller Halbkreis, strahlend hell in sieben Farben. […] Der Regenbogen schwang sich seidig schimmernd über die Ebene, er sah aus wie Millionen von schönen Jungfrauen in bunten Gewändern, die sich in einen abgelegenen See stürzten, um ihre Schönheit zu verbergen. Wir rannten zum Filicium und kletterten hinauf, jeder auf seinen gewohnten Ast. Wir taten das jedes Mal, wenn es geregnet hatte, um den Regenbogen zu betrachten. Deswegen nannte uns Bu Mus „die Regenbogentruppe“. (S. 73)

Eine Frage bleibt allerdings offen: Welche Wirrungen der Übersetzung sorgten dafür, dass aus James Herriots fiktivem Darrowby Edensor wurde?

A. J. Jacobs: Britannica & ich (2006)

Ich weiß, wie die führende türkische Avantgarde-Zeitschrift heißt. Ich weiß, dass John Quincy Adams seine Frau allein des Geldes wegen ehelichte. Ich weiß, dass Bud Abbott ein Lügner und Betrüger war, dass die Briefwahl in Irland äußerst populär ist und dass Zwerge einen kugelrunden Hintern haben.

Mit diesen Sätzen beginnt der amerikanische Journalist Arnold Stephen Jacobs seine Geschichte „von einem, der auszog, der klügste Mensch der Welt zu werden“. Das englische Original erschien unter dem Titel: The Know-It-All (2004) und wurde von Thomas Mohr ins Deutsche übersetzt.

Jacobs (*1968) beschließt, etwas gegen seine drohende Verblödung zu unternehmen und deshalb die komplette Ausgabe der Encyclopaedia Britannica (32 Bände, also insgesamt 33.000 Seiten) zu lesen. Bei diesem Selbstversuch begleiten wir ihn nun.

Ich liebäugele schon seit Jahren mit dem Gedanken, die Britannica zu lesen. Da ich – außer meiner beeindruckenden Kotztütensammlung aus Kindertagen – bislang eigentlich nichts Nennenswertes zustande gebracht habe, schien mir das ein geeigneter Prüfstein zu sein. Der höchste Berg der Erkenntnis. Mein Everest. Bei dessen Besteigung mir zum Glück weder die Ohren abfrieren werden noch der Sauerstoff ausgehen wird… Ein enzyklopädischer Crashkurs. Mit dessen Hilfe ich all meine Bildungslücken schließen werde. In diesem unserem Zeitalter extremer Spezialisierung werde ich der letzte universalgelehrte Amerikaner sein. Wenn nicht gar der klügste Mensch der Welt. (S. 9)

Zwischendurch ging mir der penetrant „witzige“, immer schön locker-flockige  Kolumnenton auf die Nerven und dann schien mir der Autor nur ein Parasit zu sein, der sein Buch ohne allzu viel Mühe aus den für ihn interessantesten Fundstücken zusammengebastelt hat.

Dance (Tanz)

Bei einem Stamm auf Santa Maria hielten die alten Männer mit Pfeil und Bogen Wache und erschossen jeden Tänzer, der einen Fehler machte. Davon sollten sich die Castingshows mal eine Scheibe abschneiden. (S. 66)

Im Original lautet die Passage:

In a tribe on the island of Santa Maria, old men used to stand by with bows and arrows and shoot every dancer who made a mistake. The perfect way to raise the stakes on American Idol.

Das zeigt, dass manchmal leider auch die Übersetzung an dem nervtötend-heiteren Ton schuld ist.

Dass dem Übersetzer auch richtig dicke Fehler unterlaufen, ist ebenfalls nicht hübsch: Im amerikanischen Original heißt es, dass Binet seinen Intelligenztest „in the early 1900s“ entwickelte. Das ist korrekt. In der Übersetzung wird daraus „Anfang des neunzehnten Jahrhunderts“. Binet wurde leider erst 1857 geboren.

Wenn Jacobson ausgerechnet ein paar Sätze von Robert Ardrey, einem Anthropologen und Dramatiker, als Sätze bezeichnet, „bei denen ich in Ohnmacht sinken könnte wie die Frau bei der Lektüre von Montaignes Essays“ (S. 271), dann stimmt mich das schon ein bisschen trübsinnig. Ardrey war als Anhänger der ‚hunting hypothesis‘ und der ‚killer ape theory‘ der Meinung, dass der Mensch vor allem seiner Aggression und Gewaltbereitschaft seinen evolutionären Erfolg verdanke. Eine These, die von diversen Forschern heute angezweifelt wird. Das Zitat, für das Jacobs glatt seine vier Jahre Studium der Philosophie eintauschen würde, lautet:

Doch nicht von gefallenen Engeln wurden wir geboren, sondern von emporgestiegenen Affen, die noch dazu bewaffnete Mörder waren. Worüber also sollen wir uns wundern? Über unser Morden, unsere Bomben und Raketen und unsere kriegslüsternen Truppen? […] Das Wunder der Menschheit ist nicht, wie tief sie gesunken, sondern wie hoch sie emporgestiegen ist. Unsere Gedichte, nicht unsere Toten machen uns unsterblich. (S. 271)

Der letzte Satz lautet im Original: „We are known among the stars by our poems, not our corpses.

Unzählige Opfer von Kriegen und Gräueln einfach als unvermeidliche Begleitschäden der Evolution abzutun, das muss man auch erst mal schaffen.

Ja, wir sind zu schrecklichen Dingen imstande. Wir haben Armut, Krieg und Sommerzeit erfunden. Aber alles in allem […] haben wir uns durch unsere Leistungen und Errungenschaften rehabilitiert. Immerhin gehen auch die Fontana die Trevi, Blinden-Scrabble, Dr. DeBakeys Kunstherz und das Frequenzwahltelefon auf unser Konto. (S. 390)

Die Geschichte sei auch „eine Ansammlung derart verblüffender Meisterleistungen und Heldentaten, dass ich es als Ehre empfinde, die DNA-Struktur der übrigen Menschheit zu teilen. (S. 398)

Aber dennoch ist das Buch an vielen Stellen auf charmante Weise informativ.

Vor seinem Britannica-Projekt hatte Jacobs vermutlich noch nie von dem Taiping-Aufstand gehört. Doch dieser Lexikoneintrag zeigt ihm, wie sehr das, was wir wissen, von unserem Umfeld abhängt und der Kultur, in der wir uns bewegen:

This was a Chinese upheaval in the mid-nineteenth century that “took an estimated 20,000,000 lives.” I read that sentence again. And again. It took 20 million lives. Holy shit. I try to process that enormous number. That’s four hundred stadiums full of human beings. That’s more than ten times the population of Manhattan. The Taiping Rebellion occurred about the same time as our own Civil War, which was horrible and bloody – and took less than seven hundred thousand lives. About 4 percent of the Taiping total. And I’ve barely even heard of this rebellion.
I feel like an ignorant Westerner. Even with my liberal education, I learned next to nothing about the other side of the world, so that doesn’t feel good. But I also have another, stranger reaction. I feel angry at the Britannica. The Britannica just states that 20 million died in its typical deadpan tone. Shouldn’t there be three exclamation points after it? Shouldn’t it say, “took an infuckingsane 20 million lives”? There’s a disconnect. The Britannica is completely dispassionate, which I’ve always thought was one of its strengths. But how can you be dispassionate with crazy information like this? How can you try to deal with the horrors of human behavior as if you’re talking about tectonic plates? The Britannica’s tone lulls you into thinking that the world is rational, but entries like this one just stop you cold.

Alphabetisch geordnet beschreibt er seine Leseeindrücke und garniert sie mit Geschichten aus seinem Alltag (seine Frau und er wünschen sich dringend Nachwuchs) und seiner Umwelt, die seine Besserwisserei nun ertragen muss. Und das ein oder andere Stichwort habe ich dann selbst in einem Lexikon nachgeschlagen, weil er mich neugierig gemacht hat. Ganz offensichtlich scheint die Britannica, das älteste noch erscheinende Nachschlagewerk – seine bescheidenen Anfänge lassen sich bis zum Jahr 1768 in Schottland zurückverfolgen – auch eine Fundgrube bizarrer „human interest“ Anekdoten zu sein.

Einen richtig wütenden Verriss gab es von Joe Quennan in der New York Times am 3. Oktober 2004:

The Know-It-All: One Man’s Humble Quest to Become the Smartest Person in the World is mesmerizingly uninformative. […] Facts absorbed without context merely magnify the intellectual deficiencies of the autodidact, because a poorly educated person does not know which facts are important.

A case in point: Jacobs refers to Absalom as a “biblical hero“ (wrong!), and reports that he was killed by his enemy Joab after his hair (yuk! yuk!) got caught in a tree branch. Absalom, as anyone who has read the Scriptures knows, was a son of David; the story of the son who raises his hand against his father is one of the most famous, heart-rending episodes in the Bible. A generation ago, everyone knew this tale; William Faulkner even wrote a book called “Absalom, Absalom!“ (Faulkner, for the uninformed, won the Nobel Prize in Literature.) With similar lack of sophistication, Jacobs brays on about the Aztecs, apparently unaware that the people known as the Aztecs actually called themselves the Mexica. And even after allegedly reading the encyclopedia, Jacobs still doesn’t know who Samuel Beckett is, an admission that is almost criminally stupid, even for someone who has written for Entertainment Weekly.

A graduate of the prestigious Dalton School in Manhattan and Brown University, Jacobs is a prime example of that curiously modern innovation: the pedigreed simpleton. […] Jacobs’s biggest problem isn’t that he doesn’t know much; it’s that he doesn’t realize how much educated people do know. There’s just no two ways about it — people who read Marcel Proust and Bertrand Russell instead of Entertainment Weekly actually do learn stuff. Deluded into believing that his enterprise has made him smarter, Jacobs constantly seeks to bedazzle the reader with his latest shocking discoveries, unaware that things he perceives as riveting arcana are common knowledge in many quarters.“

Das finde ich dann doch arg arrogant, denn Quennan scheint ein Problem damit zu haben, wenn Menschen, die nicht so gebildet sind wie er, ein Werk wie die Britannica zur Hand nehmen. Soll er sich doch freuen, dass der Autor einen deutlichen Informationszuwachs zu verzeichnen und vielleicht sogar ein bisschen Werbung für gewichtige Lektüre gemacht hat. Im Übrigen schreibt Jacobs am Ende seines Projekts selbst:

Ich weiß um die geradezu ozeanischen Ausmaße des Menschheitswissens. Ich weiß, dass ich von diesem Ozean sehr wenig weiß. (S. 398)

Zum Abschluss

Britannica & I hängt für mich ein wenig in der Luft, da kein existenzielles Bedürfnis hinter dem Projekt steht. Die Grundidee, die ich durchaus reizvoll finde, wird eher als launiger Gag behandelt und dadurch verschenkt der Autor  die Gelegenheit, auch mal tiefer zu schürfen und zu überlegen, was wir überhaupt unter Wissen verstehen, ob und wie es uns nützt, was uns antreibt, es zu erwerben und welche Rolle Enzyklopädien oder Wikipedia überhaupt dabei spielen. Und wie hängen Informationen und Wissen überhaupt zusammen?

Manchmal fehlt dem Autor einfach das Vertrauen in sein Buch und er meint, den Leser mit albernen Späßchen und Schwänken aus seinem eigenen Leben bei Laune halten zu müssen. Und das ist das wirklich Ärgerliche an dem Buch, dass die schöne Grundidee an vielen Stellen gnadenlos auf bloßes Entertainment eingedampft wird. Nichts ist mehr wichtig genug, um auch als wichtig oder ernsthaft behandelt zu werden. Info-Häppchen als Pausenfüller. Garniert mit Einblicken ins Jacobsche Familienleben. Am besten, das Ganze würde noch mit einem launigen Jingle unterlegt.

Nur hin und wieder schimmert auch eine andere Ebene durch, z. B. als ihm sein Bekannter Bob folgende Geschichte erzählt:

Kennen Sie die Geschichte von dem Herrscher aus dem Morgenland? Besagter Herrscher zitierte alle Gelehrten in sein Reich und sagte: ‚Ich möchte, dass ihr das gesamte Menschheitswissen an einem Ort zusammentragt, damit meine Söhne es lesen und lernen können.‘ Die Gelehrten gingen davon und kehrten nach einem Jahr mit 25 Bänden voller Wissen zurück. Der Herrscher sah sie sich an und sagte: ‚Nein. Das ist zu lang. Fasst euch kürzer.‘ Und so gingen die Gelehrten davon und kehrten nach einem weiteren Jahr mit einem einzigen Band zurück. Der Herrscher sah ihn sich an und sagte: ‚Nein. Immer noch zu lang.‘ Wieder gingen die Gelehrten davon. Als sie nach einem weiteren Jahr zurückkehrten, reichten sie dem Herrscher ein Stück Papier, auf dem ein Satz geschrieben stand. Ein einziger Satz. Wissen Sie, wie der Satz lautete?‘ Bob sieht mich an. Ich schüttele den Kopf. ‚Der Satz lautete: Alles geht vorüber.‘ (S. 110)

Jacobs ist übrigens ein Fan solcher Großprojekte. 2007 erschien sein Werk The Year of Living Biblically, in dem er beschreibt, wie er ein Jahr lang versucht, nach allen Regeln der Bibel zu leben. Sein neuestes Werk heißt: Drop Dead Healthy: One Man’s Humble Quest for Bodily Perfection (2012).