Catherine O‘Flynn: What was lost (2007)

2007 schaffte es Catherine O‘Flynn (*1970) mit ihrem Debüt What was lost auf die Long List des Man Booker Prize und wurde dann u. a. mit dem Costa Book Award for First Novel ausgezeichnet, und das, nachdem zunächst 14 Literaturagenten ihr Buch abgelehnt hatten. Der Guardian schrieb zu dem Roman, der auf Deutsch 2011 unter dem Titel Was mit Kate geschah erschien:

The judges described What Was Lost, based around the endless corridors and CCTV world of a city shopping centre, as ‚an extraordinary book‘. It is, they said: ‘A formidable novel blending humour and pathos in a cleverly constructed and absorbing mystery.‘

Hätte der Verlag eine für den Plot bedeutsame Logiklücke und einige auf extreme Dramatik gebürstete Trivialromandrehungen verhindert, wäre O‘Flynns Erstling noch wesentlich überzeugender gewesen. Auch das Cover meiner Ausgabe lässt einen zunächst – fälschlicherweise – an einen blumigen Kitschroman denken. Dennoch:

Der Roman hat – der Klappentext führt einen da ziemlich in die Irre – die anrührendste Kinderfigur, von der ich seit langem gelesen habe: Die zehnjährige Kate Meaney wächst nach dem Tod ihres Vaters in den achtziger Jahren bei ihrer nicht sonderlich interessierten Großmutter in Birmingham auf. Sie ist klug und liebenswert und fürchtet sich vor ihrer strengen Lehrerin Mrs Finnigan und den aggressiven Hunden in ihrer Wohnsiedlung.

It was another barely breathing afternoon in Junior Three. Kate was looking out of the window at the maisonettes opposite where three mad dogs were terrorizing anyone who tried to walk across the scrappy patch of green and litter. Kate was frightened of dogs, though as she’d been bitten eleven times she couldn’t see that it was an irrational fear. The estate was full of dogs – people bought them to make their lives safer, but it didn’t work out that way. All the dogs had psychological problems: hatred of children, hatred of bikes, hatred of paperboys, hatred of black kids, hatred of white kids, hatred of fast-moving objects; some hated the sky and barked and leapt at it all day. The happy thing for the dogs was that there was always another dog who shared their psychosis and who they could join in a gang. The estate was patrolled by these packs of like-minded dogs … (S. 36)

Ihre Einsamkeit und mangelnde Anregung zu Hause nimmt sie hin wie Regenwetter. Mit Fantasie und Kreativität hat sie sich ein Alter Ego gebastelt. Anhand eines Kinderbuchs für angehende Detektive beobachtet sie nahezu täglich – zusammen mit ihrem Stoffäffchen Mickey – verdächtig aussehende Gestalten im riesigen Einkaufszentrum Green Oaks und hofft, so irgendwann einen Bankraub zu vereiteln. Ihre Beobachtungen notiert sie akribisch – und für die LeserInnen oft durchaus witzig – in ihren Heften.

Wednesday 25th April

Middle-aged man in tatty coat lost something in one of the bins. Saw him put his arm in pull stuff out. Thought security guards were coming to help him, but instead they just led him off the premises. Noticed he had got confused and put an old hamburger that someone had thrown away in his pocket. Decided against continuing search myself. (S. 19)

Der einzige Erwachsene, der das aufgeweckte Kind ernst nimmt, ist der 22-jährige Adrian, Sohn des Kioskbetreibers in der Nachbarschaft, der ihr Mut zuspricht:

You‘re ten and you‘re a little hive of industry, always running about, always with some project or scheme, always with stuff to do. You make the adults look dead. It doesn‘t matter how old you are. (S. 50)

Die ersten 80 Seiten, und damit ein Drittel des Buches, drehen sich hauptsächlich um Kate. Danach springt die Handlung in das Jahr 2003 und ganz andere Personen, die aber alle im Einkaufszentrum Green Oaks arbeiten, stehen nun im Mittelpunkt, wie zum Beispiel der 30-jährige Kurt, Sicherheitsmann mit Schlafproblemen, oder Lisa und ihre Kollegen, die massiv mit ihren Jobs – und den nervtötenden Kunden – bei einem großen Musikladen hadern. 

Nur ganz allmählich schälen sich die Verbindungen zwischen den zwei Zeitebenen heraus, wobei alle Fäden in Green Oaks zusammenlaufen. Mehr zum Inhalt zu verraten, wäre schade. Muss man wirklich selbst lesen. Selbst Tage später vermisse ich Kate und der englische Titel passt so viel besser als der deutsche …

Nach diesem Buch und seinen unzähligen kleinen Geschichten zu all den vielen Menschen, die dort einkaufen, ihre Zeit totschlagen oder hinter den Einkaufstresen oder in den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereichen schlecht bezahlte Arbeit unter miesen Rahmenbedingungen verrichten, sieht man die mit Springbrunnen und künstlichen Palmen verzierten Einkaufszentren vermutlich mit anderen Augen. Hier lassen sich Einsamkeit, ein außer Rand und Band geratener Konsumzwang und die sozialen Probleme der Gesellschaft wie unter einem Brennglas beobachten. 

Lisa stopped listening and looked out at the blue sky. She kept looking until she felt the urge to scream go away. She knew she always did this, always got into a state on her days off. She idealized time away from work to such an extent that it could never live up to her expectations. She scrutinized every minute, trying to evaluate if it represented the optimal use of her time, until she became paralysed with indecision and anxiety. She couldn‘t sit still. She got up and tried to think of something good to do, but there was nothing left, she‘d been on every day trip in a fifty-mile radius. She‘d tried day trips to other cities, long walks in the hills, rainy afternoons in dismal market towns, safari parks, art galleries … and Ed would always say, ‚Why is that less of a waste of time than relaxing at home?‘ and she never had an answer. (S. 114)

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Autor: buchpost

- mein buchregal: schon lange ein gegengewicht zu beruf und engstirnigkeit - ziele: horizont weiten, mich vergnügen und das wichtige behalten

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