Gastbeitrag: Einrichtungsvorschläge

So im Frühling oder Frühsommer kommt der ein oder die andere vielleicht auf die Idee, Frühjahrsputz zu machen oder neue Möbel zu kaufen oder wenigstens die Wohnung umzudekorieren. Klaus hätte da in seinem neuesten Beitrag ein paar Einrichtungsvorschläge:

Gedanken beim Durchstöbern der Buchpost

Bis vor kurzer Zeit hielt ich mich für einen Vielleser. Ein paar Bücher sind immer um mich herum, griffbereit warten sie darauf, mir ihre Geschichten zu erzählen. Einen kleinen Ausschnitt aus dem überbordenden Angebot des Büchermarktes bekomme ich immerhin mit, kaufe, was mir entspricht. Damit ich diesen Lebensstil halten kann, braucht es in meinem Bücherregal von Zeit zu Zeit ein beherztes Eingreifen. Dann entdeckte ich Buchpost. Seither fühle ich mich wie jemand, der sich für literarisch gebildet hält, weil er schon einmal im Leben die Apothekenumschau von vorn bis hinten durchgelesen hat und der seinen Gästen stolz einen kleinen Bücherstapel neben dem Fernseher präsentiert, der aus Lustigen Taschenbüchern besteht, weil Donald und Dagobert doch irgendwie auch Weltliteratur sind.

Im Blick auf die Menge der besprochenen Bücher auf Buchpost beschäftigt mich der Gedanke, ob Anna ihren Fernseher längst beim Buchhändler untergestellt hat, damit der Platz sinnvoller für das Aufstellen der zuletzt erworbenen Krimireihe genutzt werden kann.

Für kurze Zeit habe ich mir vorgestellt, Anna lebt in einem englischen Schloss oder einem stattlichen Herrenhaus in Schottland samt Bibliothek und Bibliothekar. Auf der Insel soll es ja noch echte Lebensart geben. Aber diese These ist nicht haltbar. Eine Lehrerin mit Bibliothekar und Butler zum Türöffnen klingt selbst in meinen Ohren zu romantisch.

Die Sache mit dem Fernseher scheint mir dagegen vorstellbar. Man kann ja nur mit Büchern leben und nicht ohne. Und irgendwie leben die Bücher und ihre Geschichten ja auch mit uns. Warum sollen sie da nicht gegen den Fernseher stimmen dürfen? Schließlich leben wir in einer Demokratie.

Es geht also um die Frage, wie man mit so vielen Büchern im Alltag klarkommt. In meiner Vorstellung sind sämtliche Räume bei Anna konsequent mit Regalen ausgestattet. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Keller, Flur, Bad. Überall Regale voller Literatur.

Die den Räumen zugehörenden Utensilien vertragen sich prima mit den Büchern. Wenn Anna einen Kochtopf aus dem Schrank holt, steht darin bestimmt ein Kochbuchklassiker. Das ist praktisch, weil kein Mensch das Rezept für Boeuf Stroganoff oder polnischen Blumenkohl auswendig weiß. Die Sache mit den Gewürzen habe ich ausprobiert: Die Buchrücken immer schön auf der Regalbrettkante entlang, dann bleibt erstaunlich viel Platz dahinter übrig. Anis steht hinter Alfred Andersch, Fenchel hinter Fontane, Kandis und Kümmel hinter Kästner und Klopstock. Majoran sucht Deckung hinter Karl Mays Winnetou, Zimt hinter Zuckmayer.

Bei den Weinen hält man sich an die Länder. Boccaccios Decamerone und Umberto Ecos Baudolino kann sowieso niemand ohne ein Glas italienischen Rotwein lesen.

Im Bad geht es um das den Raum bestimmende Element Wasser. Wo könnte man Nautilus von Jules Verne besser unterbringen? Über der Badewanne findet sich sicher auch Ernest Hemingways Der alte Mann und das Meer. Das sollte man sowohl im Original als auch in der deutschen Übersetzung dahaben, damit kein Badender in Verlegenheit gerät. Siegfried Lenz passt auch prima ins Badezimmer: Das Feuerschiff, Deutschstunde, Arnes Nachlass. Der ganze Lenz hat ja irgendwie einen Hang zum Wasser. Der Butt von Günter Grass und Moby Dick lesen sich auch prima in der Badewanne. Der Titel For Whom the Bell Tolls bekommt eine zusätzliche Bedeutung, wenn man ihn gut sichtbar vor der Badewanne platziert. Schließlich muss man raus aus dem Wasser, ehe man komplett aufgeweicht ist.

In der Küche zu lesen, erscheint mir persönlich allerdings irgendwie „nahrhafter“. Seit einiger Zeit trinke ich übrigens ganz gern Tee. Stövchen und Teekanne unterstützen das Gemütliche des Lesens! Übrigens: Wo bisher meine Kaffeemaschine stand, steht jetzt Frühstück bei Tiffany von Truman Capote …

Hmm, da komme ich natürlich ins Grübeln, wie man das weiterspinnen könnte. Vielleicht noch Rivers of London  und Star of the Sea ins Badezimmer oder gar Wir Ertrunkenen von Carsten Jensen?

Peter Pan, Mary Poppins und Harry Potter lägen griffbereit im Kinderzimmer.

Im Musikzimmer, so vorhanden, warteten Der Kontrabaß, Der Ball und selbstverständlich Blasmusikpop.

Na, und die ganzen Bücher über Bücher wären im Lesezimmer zu finden.

Ins Schlafzimmer kämen Der Mann schläft von Sibylle Berg und natürlich Unexpected Night von Daly.

Im Gästezimmer fände sich An Unexpected Guest sowie Ein Tag zu lang.

Unter dem Dach läge Oben ist es still von Bakker und selbstverständlich The Buddha in the Attic.

A Month in the Country von Carr würde im Wintergarten deponiert, genauso wie Die Kameliendame von Dumas, Into the Wild von Krakauer, The Beekeeper’s Apprentice und Oranges and Sunshine von Humphreys.

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Gastbeitrag: Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Deutsche Erzähler des 20. Jahrhunderts von Joseph Roth bis Hermann Burger (1994)

Klaus liest gern Erzählungen und genau darum soll es heute gehen:

Zu den Anthologien, die MRR herausgegeben hat, gehört auch ein ausführlicher Kanon deutscher Erzähler. 31 Erzählungen enthält dieser sehr schön gestaltete Band, der im Manesse Verlag erschienen ist. Wer sich einen ersten Überblick über den Reichtum guter Erzählungen verschaffen möchte, ist mit diesem und dem Vorgängerband gut beraten.

Nach eigenen Worten fühlte sich MRR ausschließlich dem Gedanken verpflichtet, literarische Qualität zwischen zwei Buchdeckeln versammelt zu wissen. Wer genau hinsieht, kann erkennen, dass es auch um eine Textauswahl geht, die sich dem besonderen Blickwinkel des Herausgebers auf die deutsche Geschichte verpflichtet fühlt. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings erscheint mir dieser besondere Blickwinkel als ein weiteres Entscheidungskriterium, das zur Textauswahl beigetragen hat.

Ich habe auch nicht sämtliche Erzählungen mit gleich hohem Interesse gelesen. Hermann Burgers „Der Orchesterdiener“ erscheint mir augenblicklich einfach zu langatmig. Martin Walsers „Selbstportrait als Kriminalroman“ hat mich ebenfalls in der falschen Lesestimmung angetroffen und daher keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Aber es gibt neben lieben Bekannten auch ein paar nette Entdeckungen. Kannte ich bislang Gabriele Wohmann? Ihre Geschichte Sonntag bei den Kreisands hat mich unterhalten und in gewisser Weise bewegt. Die Kreisands sind ein eingespieltes Ehepaar, gut situiert, Teilnehmer am deutschen Wirtschaftswunder.

Es beginnt ganz unschuldig:

Wieder einer dieser gemütlichen Sonntage bei den Kreisands. Frau Kreisand sagt: harmonisch.

Und schon rollt man hinein in das verkümmerte Seelenleben zweier Menschen, die alles haben und doch nichts. Artur nennt seine Frau gern Milli und denkt dabei heimlich an eine verflossene Geliebte. Elisabeth lässt sich lieber von Artur im nagelneuen Auto kutschieren statt ihre Freundin zu Besuch zu haben.

Den Eltern wird ein versprochener gemeinsamer Urlaub auf perfide Art wieder abgesagt und wie zum Dank bekommen sie eine eklige Skulptur geschenkt und eine Flasche guten Wein entwendet.

Die Kreisands interessieren sich gerade so für sich selber, aber nicht füreinander und erst recht nicht für Dritte außerhalb dieser Lebenszweckgemeinschaft. Die Kreisands, das sind zwei Meteoriten, zufällig beim Urknall auf die gleiche Umlaufbahn geschleudert.

Zeile für Zeile spitzt Wohmann diese widerlichen Charaktere zu. Ich fühlte mich beim Lesen körperlich regelrecht unwohl. Tolle Erzählkunst, die mir Blicke nach Innen und Außen ermöglicht. Und am Ende der Erzählung ist man erleichtert, beinahe glücklich, andere Freunde zu haben als die Kreisands! Von Gabriele Wohmann werde ich sicher noch mehr lesen als nur die Kreisands. Und das ist doch mit das Beste, was eine Anthologie erreichen kann: das Weiterlesen.

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Gastbeitrag: Anna Gavalda: 35 Kilo Hoffnung (frz. OA 2002)

Buchpost bekommt Verstärkung!

Und so stellt uns Klaus heute das bislang einzige Jugendbuch von Anna Gavalda vor, das von Ursula Schregel ins Deutsche übersetzt wurde.

In dem Roman beschreibt der 13-jährige David Dubosc das Drama seines Lebens. David ist ein Schulversager, der bereits zweimal sitzengeblieben ist, im Sportunterricht avancierte er zum Klassenclown und musste darum die Schule verlassen.

Nicht schwer sich vorzustellen, dass David alles in allem ein unglückliches Kerlchen ist. Dass seine Eltern nicht gut miteinander klarkommen, ist offensichtlich. Und David stellt sich die Frage, ob seine schlechten Leistungen in der Schule mit den Streitereien seiner Eltern zu tun haben.

Das Leben wäre wirklich zu grausam, gäbe es nicht noch Großvater Léon. Ein alter Ingenieur, ein Bastler, ein Versteher, ein Motivator, ein Rettungsanker. Wenn David mit seinem Großvater in dessen Bastelschuppen verschwinden kann, ist die Welt in Ordnung. Denn im Gegensatz zu seinem theoretischen Versagen ist David handwerklich ein Ass. Er erfindet eine Bananenschälmaschine, verbessert das Bügelbrett seiner Mutter, repariert den Rasenmäher und hilft dem Nachbarn beim Renovieren des neu gekauften Nachbarhauses. Mit seinem Opa baut er einen Schrank.

Aber die Welt ist eben nicht nur Sommerferien und ein Bastelschuppen. Und Opa Léon ist außerdem ein kranker Mann. David wird schließlich in einem Internat untergebracht, weg von zuhause. Und als Opa Léon ins Koma fällt, gibt David auf einmal Gas: Er strengt sich an wie nie in seinem Leben. Alle Anstrengung, alle Kraft sendet er seinem Opa…

Das sind die Zutaten, aus denen Anna Gavalda ihre Geschichte webt. Die Autorin lässt ihre Hauptfigur jugendgerecht sprechen und nutzt dabei geschickt die Möglichkeiten einer Erzählerin. Zum Beispiel wenn David von seiner bislang einzig guten Lehrerbeziehung berichtet und diese Sequenz abschließt mit:

In mein Vorschulzeugnis hatte Marie geschrieben: ,Dieser Junge hat ein Gedächtnis wie ein Sieb, Finger wie eine Fee und ein riesengroßes Herz. Es müsste gelingen, etwas daraus zu machen.‘ Das war das erste und das letzte Mal in meinem Leben, dass ein Lehrer etwas Nettes über mich sagte.

Kein Pädagoge würde so schreiben. Und doch sind es solche Sätze, die mir das Buch wertvoll machen. Es ist diese leise Botschaft, dass es Wichtigeres geben kann als Leistung, Anpassung und Erfüllung von Erwartungen. Man kann diese Geschichte als Kritik an einem einseitigen Schulsystem lesen.

Für mich gewährt dieses schmale Büchlein darüber hinaus einen Blick in die französische Seele. Und vor allem setzt Anna Gavalda mit ihrer Figur David Dubosc diese unglaubliche Wahrheit um, dass die innige Verbindung zwischen zwei Menschen schier Unmögliches bewirken kann. Und diese Erkenntnis ist für Gavaldas Leser nicht allein durch die Brille dieses heranwachsenden Jungen beschrieben, sondern mitten durch sein Herz. Anna Gavalda macht einen entscheidenden Reifungsschritt nicht nur sichtbar, sondern auch erlebbar.

Nach 85 Seiten hatte ich den Eindruck, einen ganzen Roman gelesen zu haben. Meiner Frau habe ich einmal gesagt, zu diesem Büchlein gibt es so viel zu sagen, ich könnte einen ganzen Abend damit füllen. Ob das stimmt, ist allerdings eine Frage für sich.

Eine andere Frage soll hier aber doch noch beantwortet werden, nämlich wer hier heute für uns geschrieben hat:

Ich bin Klaus. Ich lese gern und schreibe gern. Schreiben ist ja eine gute Form des Nachdenkens. Und hin und wieder spreche ich mit Anna über Bücher.

In meinem Arbeitsleben kümmere ich mich um pflegebedürftige Menschen. Alles, was mit der Organisation für diese Arbeit zusammenhängt, kommt bei mir an.

Die Fähigkeit, einen Blog aufzubauen, fehlt mir komplett. Und wenn ich meine Begabungen mit der Fotokamera beschreiben soll, dann am treffendsten so: Wenn ich einen Sonnenuntergang fotografieren soll, ist es finsterste Nacht, ehe ich zum ersten Mal den Auslöser drücke.

Darum bin ich dankbar, dass meine schriftlichen Produkte hier hin und wieder erscheinen dürfen.