Fundstück von Annette von Droste-Hülshoff

Die Zeit schreitet fort. Das ist gut, wenigstens in den meisten Beziehungen. Aber wir müssen mitrennen, ohne Rücksicht auf Alter, Kränklichkeit und angeborene Antipathie. Das ist mitunter sehr unbequem.

Mit diesen Sätzen beginnt die unvollendete Erzählung Joseph (1845) von Annette von Droste-Hülshoff.

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Fundstück von Erling Kagge

Ja, wenn ich alles, was ich mir wünsche, in meinen Armen halte, werden Worte überflüssig. […] Man lebt gefährlich, wenn man eine Beziehung als Selbstverständlichkeit ansieht. Die meisten Menschen glauben, den Everest zu besteigen, sei sehr risikoreich, aber in der Regel geht es gut. Gegenseitige Liebe als Selbstverständlichkeit anzusehen, würde ich nicht wagen.

aus: Erling Kagge: Stille – Ein Wegweiser, Insel Verlag, Berlin 2017, S. 118/119

Fundstück von Kenneth Grahame zum Frühjahrsputz

The Mole had been working very hard all the morning, spring-cleaning his little home. First with brooms, then with dusters; then on ladders and steps and chairs, with a brush and a pail of whitewash; till he had dust in his throat and eyes, and splashes of whitewash all over his black fur, and an aching back and weary arms. Spring was moving in the air above and in the earth below and around him, penetrating even his little house with its spirit of divine discontent and longing. It was small wonder, then, that he suddenly flung down his brush on the floor, said “Bother!“ and “O blow!“ and also “Hang spring-cleaning“ and bolted out of the house without even waiting to put on his coat. Something up above was calling him imperiously […] So he scraped and scratched and scrabbled and scrooged and then he scrooged again and scrabbled and scratched and scraped, working busily with his little paws and muttering to himself, “Up we go! Up we go!“ till at last, pop! his snout came out into the sunlight, and he found himself rolling in the warm grass of a great meadow.

So beginnt der englische Kinderbuchklassiker Wind in the Willows von Kenneth Grahame (1859 – 1932).

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Fundstück von E. M. Forster (1908)

It was unladylike. Why? Why were most big things unladylike? Charlotte had once explained to her why. It was not that ladies were inferior to men; it was that they were different. Their mission was to inspire others to achievement rather than to achieve themselves. Indirectly, by means of tact and a spotless name, a lady could accomplish much. But if she rushed into the fray herself she would first be censured, then despised, and finally ignored. Poems had been written to illustrate this point. (S. 60 der Taschenbuchausgabe im Penguin Verlag)

aus: E. M. Forster: A Room with a View, OA 1908

Fundstück von Alec Guinness

The Ides of March have passed and nothing untoward has happened to our quiet lives in Hampshire. Farther afield there are horrors – starvation on every continent, ugliness in Albania and environs, Isreali/Palestinian squabbles, the madness of Northern Ireland, daily murders at the seaside, Madeleine Albright jetting around somewhere, schoolchildren committing suicide, the scandals surrounding the personal life of the President of the United States, paedophile clerics coming to the surface – and so it goes on – but here the daffodils make a fine display and ornamental cherry blossoms begin to show. (S. 120)

aus: Alec Guinness: A Positively Final Appearance1999

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Fundstück von Fridtjof Nansen

Der Sternenhimmel ist der wahrste Freund im Leben, hat man ihn erst einmal kennengelernt; stets ist er da, stets gibt er Frieden, stets erinnert er dich daran, dass deine Unruhe, deine Zweifel, deine Schmerzen vorübergehender Natur sind. Das Universum existiert und wird unberührt bestehen. Unsere Meinungen, unsere Kämpfe, unsere Leiden sind nicht so wichtig und einzigartig, wenn es darauf ankommt.

Fridtjof Nansen, zitiert nach: Erling Kagge: Stille – Ein Wegweiser, Insel Verlag, Berlin 2017, S. 84

Fundstück von W. Somerset Maugham

I have always hesitated to give advice, for how can one advise another how to act unless one knows that other as well as one knows oneself? Heaven knows, I know little enough of myself: I know nothing of others. We can only guess at the thoughts and emotions of our neighbours. Each one of us is a prisoner in a solitary tower and he communicates with the other prisoners, who form mankind, by conventional signs that have not quite the same meaning for them as for himself.

Aus: W. Somerset Maugham: The Happy Man, zitiert nach: Collected Short Stories, Band 1, Penguin, London 1977, S. 323

Fundstück von W. Somerset Maugham

For thirty years now I have been studying my fellow-men. I do not know very much about them. I should certainly hesitate to engage a servant on his face, and yet I suppose it is on the face that for the most part we judge the persons we meet. We draw our conclusions from the shape of the jaw, the look in the eyes, the contour of the mouth. I wonder if we are more often right than wrong. Why novels and plays are so often untrue to life is because their authors, perhaps of necessity, make their characters all of a piece. They cannot afford to make them self-contradictory, for then they become incomprehensible, and yet self-contradictory is what most of us are. We are a haphazard bundle of inconsistent qualities. In books on logic they will tell you that it is absurd to say that yellow is tubular or gratitude heavier than air; but in that mixture of incongruities that makes up the self yellow may very well be a horse and cart and gratitude the middle of next week. I shrug my shoulders when people tell me that their first impressions of a person are always right. I think they must have small insight or great vanity. For my own part I find that the longer I know people the more they puzzle me: my oldest friends are just those of whom I can say that I don‘t know the first thing about them.

aus: W. Somerset Maugham: A Friend in Need, zitiert nach: Collected Short Stories, Band 2, Penguin, London 1977, S. 286

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Fundstück von Erich Kästner

Sie folgten einem Weg, der über verschneites, freies Gelände führte. Später kamen sie in einen Tannenwald und mussten steigen. Die Bäume waren uralt und riesengroß. Manchmal löste sich die schwere Schneelast von einem der Zweige und stäubte in dichten weißen Wolken auf die zwei Männer herab, die schweigend durch die märchenhafte Stille spazierten. Der Sonnenschein, der streifig über dem Bergpfad schwebte, sah aus, als habe ihn eine gütige Fee gekämmt. Als sie einer Bank begegneten, machten sie halt. […] Ein schwarzes Eichhörnchen lief eilig über den Weg. Nach einer Weile erhoben sie sich wortlos und gingen weiter.

aus: Erich Kästner: Drei Männer im Schnee, Atrium Verlag, Zürich 2017, S. 104 – 105

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Fundstücke von Helga Schubert über den Winter

Im Winter wird mein Leben klar und durchsichtig. Ich liebe den Winter. Das Schönste am Winter ist eigentlich, dass die Bäume keine Blätter haben. Ich werde nicht abgelenkt von ihrer wahren Gestalt. Von ihren Verwachsungen, ihren nach innen gerichteten Ästen, dem Versuch ihrer Kronen, das Gleichgewicht zu halten. Nackt, würdig, schutzbedürftig und verletzlich stehen sie vor mir. Kein Baum ist in den Himmel gewachsen. (S. 83)

Wenn ich von der Kälte oder dem Sturm draußen in die Wärme der Wohnung komme, die angewärmten Hausschuhe anziehe, einen Tee aufbrühe, mich in eine Decke wickele, es muss eine rotgemusterte Wolldecke sein, dann ist der Winter mein Alibi: Ich darf mich nur mit meinen Gedanken beschäftigen, mich erinnern an lange Vergangenes, an Zusammensein mit Menschen, die nicht mehr auf dieser Erde sind, aber das macht nichts, denn sie sind mir so vertraut, als ob sie gerade nur aus dem Zimmer ins Nachbarzimmer gingen. Im Winter leisten sie mir in der Wärme Gesellschaft. Hellsichtig wird mein Leben im Winter. (S. 85)

Aus: Helga Schubert: Vom Aufstehen – Ein Leben in Geschichten, dtv, München 2021

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Fundstücke aus den Wahlverwandtschaften von Goethe

Es ist eine so angenehme Empfindung, sich mit etwas zu beschäftigen, was man nur halb kann, daß niemand den Dilettanten schelten sollte, wenn er sich mit einer Kunst abgibt, die er nie lernen wird, noch den Künstler tadeln dürfte, wenn er über die Grenze seiner Kunst hinaus in einem benachbarten Felde sich zu ergehen Lust hat.

Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt. Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußern Betragens.

Manchmal, wenn mich ein neugieriges Verlangen nach solchen abenteuerlichen Dingen anwandelte, habe ich den Reisenden beneidet, der solche Wunder mit andern Wundern in lebendiger, alltäglicher Verbindung sieht. Aber auch er wird ein anderer Mensch. Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.

Aus: Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften (1809)

Fundstück von R. F. Kuang

Ich kenne kein schöneres Zitat zu Scones als das aus dem Roman Babel von Rebecca F. Kuang:

He and Mrs Piper quickly bonded over a deep love of scones. She made them every which way – plain, served with a bit of clotted cream and raspberry jam; savoury and studded with cheese and garlic chives; or dotted through with bits of dried fruit. Robin liked them best plain – why ruin what was, in his opinion, perfect from conception? (S. 35)

Fundstück aus den Wahlverwandtschaften von Goethe

Charlotte, als sie erfährt, dass der von ihr geliebte Hauptmann eine weit entfernte Stelle angeboten bekommen hat:

Sie wiederholte sich aber- und abermals, was sie seit jenem unerwarteten Vorschlag des Grafen oft genug bei sich um und um gewendet hatte. Der Hauptmann schien vor ihr zu stehen. Er füllte noch das Haus, er belebte noch die Spaziergänge, und er sollte fort, das alles sollte leer werden! Sie sagte sich alles, was man sich sagen kann, ja sie antizipierte, wie man gewöhnlich pflegt, den leidigen Trost, daß auch solche Schmerzen durch die Zeit gelindert werden. Sie verwünschte die Zeit, die es braucht, um sie zu lindern; sie verwünschte die totenhafte Zeit, wo sie würden gelindert sein. (S. 81)

Aus: Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften (1809)

Fundstück von Goethe (1809)

Wie schwer ist es, daß der Mensch recht abwäge, was man aufopfern muß gegen das, was zu gewinnen ist, wie schwer, den Zweck zu wollen und die Mittel nicht zu verschmähen! Viele verwechseln gar die Mittel und den Zweck, erfreuen sich an jenen, ohne diesen im Auge zu behalten. Jedes Übel soll an der Stelle geheilt werden, wo es zum Vorschein kommt, und man bekümmert sich nicht um jenen Punkt, wo es eigentlich seinen Ursprung nimmt, woher es wirkt. Deswegen ist es so schwer, Rat zu pflegen, besonders mit der Menge, die im Täglichen ganz verständig ist, aber selten weiter sieht als auf morgen. Kommt nun gar dazu, daß der eine bei einer gemeinsamen Anstalt gewinnen, der andre verlieren soll, da ist mit Vergleich nun gar nichts auszurichten. Alles eigentlich gemeinsame Gute muß durch das unumschränkte Majestätsrecht gefördert werden.

Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften, Goldmann Verlag, München, S. 48

Fundstück von Ross Thomas

Ich packte meine Tasche aus und mixte mir dann einen Drink. Ich trank ihn auf einem Stuhl, der mit limonengrünem Plastik bezogen war. Es muss auf der Welt noch viel einsamere Plätze geben als ein billiges Motelzimmer nach Mitternacht, aber mir fiel keiner ein. 

Aus: Ross Thomas: Keine weiteren Fragen, Alexander Verlag, Berlin 2021,  S. 134

Die Originalausgabe dieses Krimis von Ross Thomas (1926 – 1995) erschien 1976 unter dem Titel No Questions Asked und wurde für den Alexander Verlag erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt von Henner Löffler und Gisbert Haefs.

Ein spannend und schnörkellos erzählter Noir-Krimi um Philip St. Ives, den professionellen Vermittler zwischen Unterwelt und Gesetz. Dennoch: Vielleicht sind es gerade die Schnörkel, die mir hier fehlen und mir die Charaktere irgendwie bedeutsam oder interessant hätten machen können. Dafür sind dann 247 Seiten doch zu kurz, oder anders ausgedrückt: Es geht einfach wirklich nichts über einen Marlowe-Krimi von Chandler

Fundstücke von Jane Haynes

… You would say that when we give something, whether it is a gift or an emotion, we have to let it go. Our power over what is given comes to an end and we are helpless to control how it will be received. Giving is an act of trust. (S. 57)

I think one of the great mistakes of human communication is the naive assumption that it is easy to understand anyone, it is a huge undertaking and requires so much more than most of us are capable of […]. Empathy is an overrated commodity. (S. 70)

In order for a dialogue to begin there have to be two people who are meeting each other with an openness and equality that will facilitate a culture of trust. (S. 97)

Aus: Jane Haynes: Who is it that can tell me who I am?, Constable 2007

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Ilse Helbich: Anderswohin (2022)

Der Droschl Verlag schreibt über den schmalen Band Anderswohin der 1923 geborenen Publizistin Ilse Helbich, der den Untertitel trägt Vom Träumen, Suchen und Finden:

In Anderswohin, verbindet die 98-jährige Ilse Helbich persönliche Erinnerungen, Selbstreflexionen, philosophische Sequenzen sowie protokollierte Gedankengänge.

Mir ging es beim Lesen so wie schon bei der Lektüre ihres autobiografisch gefärbten Werks Das Haus. Damals schrieb ich, dass es eher einzelne Sätze und Abschnitte waren, die mich weiterlesen ließen, weniger der Gesamtzusammenhang, weniger die einzelnen Erinnerungen.

Auch in Anderswohin gibt es Stellen, in denen die 1923 in Wien geborene Publizistin ihre Gedanken zum Altsein, zum Schreiben, zum Einverstanden-Sein oder zum Suchen und Finden eines Sinns so fein und zart und klar und auf den Punkt benennt, dass ich diese am liebsten alle hier zitieren würde.

Protokoll: Die Fragen, auf die ich jetzt keine Antworten habe – oder mir die alten Antworten weggeschmolzen sind. Warum bin ich noch da? So ohne Zweck, ohne Aufgaben, so ohne die Helligkeit von hohen Stunden zwischen den Trübseligkeiten der allstündlichen Mühsal. (S. 5)

Protokoll: Immer, wenn ich über das Gehen, oder über das Träumen, oder das Suchen und Finden schreibe, bin ich zuhause in einer Zone durchsichtiger Klarheit, eine Stunde selbstverständliches Tätig-Sein, ohne Beschränkung, ohne Angst, bei mir zuhause. (S. 9)

Protokoll: In der Frage leben, ohne sie zu lösen. Ein Selbstzitat. Es gibt jedoch bei Rainer Maria Rilke eine Stelle, die lautet: ‚Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.‘ (S. 88)

Protokoll: Sich überlassen? Sich überlassen. (S. 89)

Und die für mich schönste Stelle:

Was habe ich gesucht? Ich weiß es nicht mehr.

Wenn ich die Gefundene sein werde. (S. 73)

Hier ein Interview aus dem Jahr 2021 und hier eine Veranstaltung mit der Autorin anlässlich ihres Buchs Anderswohin, die im Oktober ihren 100. Geburtstag feiert.

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Fundstück von Ewald Frie

Ich konnte weit vor der Einschulung lesen und schreiben. Ich verschlang alle Bücher in unserem Vitrinenschrank. Die Frakturschrift einiger Bibelausgaben betrachtete ich eher als sportliche Herausforderung denn als Hindernis. Dann nahm ich mir die Bestände der Katholischen öffentlichen Bücherei vor. Meine Mutter legte eine Obergrenze an Büchern fest, die ich pro Woche lesen durfte. Sie war in Sorge um meine Gesundheit. [… Meine Geschwister] beschwerten sich, ich würde nur deswegen so viel lesen, weil ich zu faul zum Arbeiten sei. […] Immerhin führte mein Lesepensum dazu, dass ich ohne erkennbare Anstrengung mit guten Noten durch die Schule kam. Außerdem konnte ich Theater spielen, lange Gedichte aufsagen und bei Familienfesten den Conferencier geben. In den Augen meines Vaters waren das lauter schöne und beeindruckende, aber auch völlig nutzlose Fähigkeiten. Die üblichen Haus- und Hofarbeiten machte ich nicht gut. Außerdem hatte ich Angst vor Tieren. Nach dem Abitur gab er mir den Ratschlag, reich zu heiraten. Wahrscheinlich konnte er sich einfach keinen Ort vorstellen, an dem meine Fähigkeiten gebraucht würden.

Aus: Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister – Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben, C. H. Beck 2023, S. 151

Nick Hornby: Stuff I‘ve been reading (2013)

Nick Hornby (*1957) ist nicht nur ein erfolgreicher Romanautor, Drehbuchschreiber, Vater eines autistischen Sohnes, musikbegeisterter Fußballfan (Arsenal London), sondern auch ein bücherverschlingender Leser. Das Fazit seiner Lektüren hält er in launigen Kolumnen fest, die dann natürlich wieder als Bücher veröffentlicht werden.

Ich mag seinen frischen, frechen Stil, der so unprätentiös und auf den Punkt daherkommt. Er begründet seine Ansichten und spricht aus, was ich mich manchmal nur zu denken traue. Und trotz Fußballignoranz, anderem Musikgeschmack und null Interesse meinerseits an der Geschichte des Fernsehens gibt es doch kein Nick-Hornby-Buch übers Lesen, das mir nicht mindestens fünf neue Titel auf die Wunschliste setzt. Anbei also einige Fundstücke aus seinem Buch Stuff I‘ve been reading (2013), in dem Kolumnen von August 2006 bis Dezember 2011 versammelt sind.

Zu Thomas Hardy

One thing I knew for sure before I started Claire Tomalin‘s biography of Thomas Hardy: I wouldn‘t  be going back to the work. Hardy‘s prose is best consumed when you‘re young, and your endless craving for misery is left unsatisfied by a diet of The Smiths and incessant parental misunderstanding. (S. 29)

Zu The Road von Cormac McCarthy – fairerweise sollte ich hier vielleicht hinzufügen, dass Hornby noch einiges mehr über diesen Roman schreibt, den er „brilliant“ findet, aber das würde hier den Rahmen sprengen…

As you probably know by now – and more than eight million of you voted for it in the Believer Book Award – The Road may well be the most miserable book ever written, and God knows there‘s some competition out there. As you probably know by now, it‘s about the end of the world. Two survivors of the apocalypse, a man and his young son, wander through the scarred grey landscape foraging for food,  and trying to avoid the feral gangs who would rather kill them and eat them than share their sandwiches with them. The man spends much of the book wondering whether he should shoot his son with their last remaining bullet, just to spare him any further pain. […] Sometimes you feel like begging the man to use his last bullet on you, rather than the boy. The boy is a fictional creation, after all, but you‘re not. You‘re really suffering. (S. 62)

Zum Vater von Charles Dickens

Pretty much all you have to do as a dad is earn some money, stay out of prison and make sure your kids go to school; John Dickens struck out on all three requirements, and is therefore directly responsible for some of the greatest fiction in the English language. (S. 244)

Zu manchen KritikerInnen

‘What we need,‘ one of those scary critics who write for the serious magazines said recently, ‘is more straight talking about bad books.‘ Well, of course we do. It‘s hard to think of anything we need more, in fact. Because then, surely, people, would stop reading bad books, and writers would stop writing them, and the only books that anyone read or wrote would be the ones that the scary critics in the serious magazines liked, and the world would be a happier place, unless you happen to enjoy reading the books that the scary critics don‘t like – in which case the world would be an unhappier place for you. Tough. (S. 21)

Fundstück von Raymond Chandler über Bücher

Guter Gott, was soll ich bloß mit all den Büchern anfangen, die einmal ein großes Haus überschwemmt haben? Ich glaube, mit Besitz muß man erbarmungslos umgehen.

Aus einem Brief Raymond Chandlers an Helga Greene vom 19. Juni 1956, zitiert nach: Frank MacShane: Raymond Chandler – Eine Biografie, Diogenes, Zürich 1984, S. 394, übersetzt von Christa Hotz, Alfred Probst und Wulf Teichmann

In der Übersetzung von Hans Wollschläger klingt das folgendermaßen:

Lieber Gott, was auf Erden soll ich mit den Büchern machen, die schon ein großes Haus völlig überflutet haben? Man wird wohl gegenüber seinen Besitztümern eine gewisse Rigorosität lernen müssen.

Zitiert nach: Frank McShane (Hrsg.): Raymond Chandler: Briefe 1937 – 1959, btb 1990, S. 566

Hier die Originalstelle:

And the books! Dear God, what on earth shall I do with books that overflowed a large house? I guess you have to be ruthless about possessions.

Zitiert nach: Frank McShane: Selected Letters of Raymond Chandler, Columbia University Press, New York 1981, S. 402

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Fundstücke von Fumio Sasaki zu einem minimalistischen Lebensstil

Am leichtesten fällt einem das Wegwerfen, wenn man es sich bewusst angewöhnt. […] Ichiro Suzuki […] erklärte einmal, unglaubliche Taten ließen sich einzig durch das Anhäufen winziger Erfolge vollbringen. (S. 71)

Versuchen Sie, von allen Gegenständen letztlich nur noch ein Exemplar zu besitzen. (S. 72)

Wer sich an Erinnerungsstücke klammert, hängt einem vergangenen Bild seiner selbst nach. Wenn Sie also nur das geringste Interesse haben, sich zu verändern und zu wachsen, dann raffen Sie sich auf und lassen Sie los. Behalten Sie nur Dinge, die Sie brauchen, um sich in Zukunft weiterzuentwickeln. (S. 84)

Marie Kondo [… ] Wenn man einen Gegenstand berühre, müsse man einen ‚Funken von Freude‘ spüren, ansonsten könne man ihn entsorgen. Diese einfache Methode kann sehr nützlich sein. (S. 89)

Was wäre für Sie wirklich wichtig, wenn Sie bei Null anfingen, wenn Einbrecher Ihre Wohnung völlig leergeräumt hätten? […] Setzen Sie gedanklich alles auf Anfang, dann zeigt sich schon, welche Dinge wirklich unverzichtbar sind. (S. 106)

Indem ich meinen Besitz reduzierte, minimierte ich auch den Ärger, den meine Angehörigen nach meinem Ableben haben werden. […] irgendwie finde ich diesen Gedanken befreiend. (S. 128)

Nur Dankbarkeit ermöglicht es, aus dem Teufelskreis von Erregung [über eine Neuanschaffung] – Vertrautheit – Langeweile auszubrechen. … Dankbarkeit erlaubt uns, unseren Alltag mit frischen Augen zu betrachten. (S. 231)

Minimalismus hat mir die Konzentration geschenkt, mein inneres Ich wieder zu beleben. (S. 195)

Das Ziel eines Minimalisten besteht nicht in der Reduktion selbst. Ein Minimalist versucht, Ablenkungen zu beseitigen, um sich besser auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren zu können. […] Sobald Sie dann angefangen haben auszumisten, wird es Zeit, die Dinge herauszufinden, die  wirklich zählen. Minimalismus ist wie der Prolog eines Buches. Den Rest des Textes können nur Sie selbst schreiben. (S. 135)

aus: Fumio Sasaki: Das kann doch weg! Das befreiende Gefühl, mit weniger zu leben, INTEGRAL, München 2018 (japanische OA 2015); aus dem Amerikanischen übersetzt von Martin Bauer

Fundstück von Jack Sheffield

At the end of school I was in my classroom, marking problem solving of a different type. The top maths group had to work out how long it took for a snail that travelled only two centimetres every ten minutes to get to the top of a sunflower that was two metres tall. Whilst I was pleased that most of the children had got it right, I was more pleased that they had asked why the snail wanted to get there in the first place. I had just finished putting red ticks on the last exercise book, which included a lovely drawing by Jennifer Jayne Tait of an exhausted snail, when I heard the first verse of ‚Climb Every Mountain‘ echoing down the corridor.

aus: Jack Sheffield: Teacher, Teacher! – The Alternative School Logbook, 1977-1978, Corgi Books, 2004, S. 42

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Fundstück von Paula Fox

Ich schreibe immer neu, um die Zusammenhänge meines Lebens zu entdecken, wie es mit anderen verbunden ist. […] Und so sind die Unbescheidenheit, der Anspruch eines Romanautors ungeheuerlich; läge nicht dahinter das überwältigende Wissen, wie wenig man weiß; wie pausenlos man mit dem Stoff des eigenen Lebens und gegen die Beschränktheit des eigenen Erfahrungshorizontes zu kämpfen hat.

aus: Paula Fox‘ Dankesrede für die Newbery Medal 1974, zitiert nach:

Bernadette Conrad: Die vielen Leben der Paula Fox,  C.H. Beck Verlag, München, 2011, S. 316 f

Fundstück von Joseph Roth

Jetzt sitze ich gegenüber dem leeren Platz und höre die Stunden rinnen. Man verliert eine Heimat nach der anderen, sage ich mir. Hier sitze ich am Wanderstab. Die Füße sind wund, das Herz ist müde, die Augen sind trocken. Das Elend hockt sich neben mich, wird immer sanfter und größer, der Schmerz bleibt stehen, wird gewaltig und gütig, der Schrecken schmettert heran und kann nicht mehr schrecken. Und dies ist eben das Trostlose.

aus: Das neue Tage-Buch, 25.6.1938 

zitiert nach: Hauke Goos: Schöner Schreiben – 50 Glanzlichter der deutschen Sprache von Adorno bis Vaterunser, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2021, S. 112

Fundstücke von Roger Willemsen

‚Verlust der Kindheit‘? Die Kindheit geht ja nicht verloren, jedenfalls nie ganz, sie zieht sich nur zurück und macht Platz. […] Aber für den inneren Menschen nimmt sie keinen untergeordneten Rang ein. Sie bricht sich Bahn, sie kehrt zurück, in neuen Mischungsverhältnissen. Es kann sein, dass nur der Humor das Exil des inneren Kindes bleibt oder das Begehren oder die Habsucht, die Tierliebe oder die Melancholie. Nichts ist je ganz vorbei, auch nicht die Kindheit. (S. 15)

Anders gefragt: Wann wurde man nicht, was man hätte sein können? (S. 25)

Warum sollte nicht fehlen können, was man nie besaß? Wahrscheinlich ist selbst anderen Gefühlskomplexen – der Liebe, der Begierde, der Enttäuschung – manchmal etwas wie Heimweh beigemengt. (S. 27)

Aus: Roger Willemsen: Der Knacks, Fischer Verlag, Frankfurt 2008

Fundstücke über das Fernsehen

Ich habe mir jetzt Ihren Auftritt bei ‚Talk um Zehn‘ angeschaut […] Haben Sie denn gar keinen Respekt vor Ihrer eigenen Dummheit? Was hatten Sie in dieser Talkshow verloren? Hatten Sie ein Buch vorzustellen? Oder eine CD? Eine Talkshow ist billige Sendezeit und kein Forum der Vernunft!

aus: Stefan Schwarz: Da stimmt was nicht, Rowohlt, Berlin 2021, S. 228

Television is really what we‘ve been looking for all our lives. You don‘t have to concentrate. You don‘t have to react. You don‘t have to remember. You don‘t miss your brain because you don‘t need it. Your heart and liver and lungs continue to function normally. Apart from all that, all is peace and quiet. You are in the poor man‘s nirvana.

Raymond Chandler in einem Brief an Charles Morton vom 22. November 1950, zitiert nach: Tom Hiney: Raymond Chandler – A Biography, Grove Press 1997, S. 191

Fundstück von Martin Boyd

Whether she was in a state of elation or of gloom from their last encounter, her heart began to beat when she knew that she was to see him again, and she always counted on the next meeting as one that would fix their relationship. Austin had no idea of the effect he was having on her, that his most casual words or absent-minded glances were flinging her from heaven to hell and back again. He was much too occupied with his own affairs and he simply thought of her as a slightly comic moody character. So the situation remained always the same, and she might have spared herself her passionate broodings. She was the only actor in the drama which was played nowhere but in her own agonised heart.

aus: Martin Boyd: The Cardboard Crown, Text Publishing Melbourne, 1952, S. 34-35

Fundstück von Leïla Slimani

Das, was wir nicht sagen, gehört uns für immer. Schreiben heißt, mit dem Schweigen spielen, auf Umwegen Geheimnisse aussprechen, die im wahren Leben unaussprechlich sind. Die Literatur ist eine Kunst der Zurückhaltung. (S. 29)

Das Zitat stammt aus Der Duft der Blumen bei Nacht von Leïla Slimani, das 2022 bei Luchterhand erschienen ist. Schon lange kein Buch mehr gelesen, dessen Inhalt, wenn auch nicht unsympathisch vorgetragen, so wenig Nachhall erzeugte.

Fundstück von Chimamanda Ngozi Adichie über das Trauern

Trauer ist ein grausamer Unterricht. Man lernt, wie hart Trauern sein kann, wie viel Wut darin steckt. Man lernt, wie nichtssagend Beileidsbekundungen sein können. Man lernt, wie sehr es bei Trauer um Sprache geht, um das Versagen der Sprache und die Suche nach den richtigen Worten. Warum sind meine Flanken so empfindlich und tun weh? Das kommt vom Weinen, wird mir erklärt. Ich wusste nicht, dass wir mit unseren Muskeln weinen. Der Schmerz ist keine Überraschung, aber seine Körperlichkeit ist es. […] Es ist ein Leiden nicht nur der Seele, sondern des Körpers. Fleisch, Muskeln, Organe, alles ist in Mitleidenschaft gezogen. Keine Körperhaltung ist bequem…

aus: Chimamanda Ngozi Adichie: Trauer ist das Glück, geliebt zu haben, Fischer Verlag, 2021, S. 11

Fundstück von Harriet Köhler

Wer in die Fremde fährt, findet sich dort nicht, sondern hat sich selbst im Gepäck – das hätten wir eigentlich wissen müssen. […] Wir entkommen uns nicht, egal wie weit wir wegfahren. Warum nur erhoffen wir uns genau das dann doch immer wieder? Warum bleiben wir nicht einfach zu Hause und machen das Beste aus dem, was wir sind?

aus: Harriet Köhler: Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben, Piper, München 2019, S. 27

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Fundstück von Christina Hardyment

Christina Hardyment war schon einmal mit ihrem Buch Heidi’s Alp Thema hier auf buchpost. Und nun schmökere mich gerade durch ihr Buch Behind the Scenes – Domestic Arrangements in Historic Houses, in dem sie mit ansteckender Begeisterung und Neugier den architektonischen und haushälterischen Gegebenheiten in Landhäusern der britischen Oberklasse nachforscht.

Auf Seite 23 bin ich auf einen Absatz gestoßen, den ich äußerst denkwürdig finde:

According to Robert Kerr, author of the influential The Gentleman‘s House (1864), ‚Every servant, every occupation, every utensil, every fixture should have a right place and no right place but one.‘ Perhaps the ultimate in specialisation was reached at the Scottish House of Kinmel, where one room was set aside entirely for ironing newspapers.

Christina Hardyment: Behind the Scenes – Domestic Arrangements in Historic Houses, The National Trust 1997, S, 23

Eine gute Ergänzung aus der Perspektive einer „kitchen maid“ bietet das Buch Below Stairs (1968) von Margaret Powell.

Fundstücke von Patrick Taylor und Betsy Hanson

Jack, always the consummate mimic, declared in the tone of one of the upper classes, ‚Old boy, in this life there will always be a certain amount of shit to be shovelled. I really would urge you to buy a long-handled spade and simply get on with it.‘

Aus: Patrick Taylor: An Irish Country Doctor, 2004, S. 109

When it came right down to it, what other option was there in life? You have to deal. Everyone does. I have my widowhood and my worries about Hans with his failed marriage and delayed music career. Laurel has her string of adjunct jobs. Frieda has her unrequited love for Arnold Wiggins. […] All human beings deal, in one way or another, until they die.

Aus: Betsy Hanson: Always Gardenia, 2018, S. 223

Fundstück von Sarah Moss

If she‘d known, she thinks, if she‘d known that she wasn‘t going to achieve financial comfort or even security as the years went by, if she‘d recognised the good times when she had them, she‘d have travelled more when she was young, she‘d have bought one of those train tickets, those passes, and gone everywhere, northern Norway to Sicily, Istanbul to County Clare. She‘d have taken a year out, several years out, before settling for Steve, worked her way round waitressing or whatever. If she‘d had the confidence then, if she‘d known how to apply for a passport and buy a ticket and board a plance when she was young enough to walk away. She should have gone to Paris and Vienna, to Venice. […] It probably doesn‘t matter, really.

aus: Sarah Moss: Summerwater, Picador, 2020, S. 4

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Fundstück von Hildegard Knef

Liebeserklärung an einen Großvater

Meiner hieß Karl, er war mittelgroß und genauso kräftig, wie er aussah. Er trug den Kopf sehr gerade, die Wirbelsäule auch, und er hatte einen großen Mund mit vielen Zähnen; er hatte sie noch alle 32, als er mit 81 Jahren Selbstmord machte. Sein Jähzorn war das Schönste an ihm, erstens weil er sich nie gegen mich richtete und weil er so wild und rasch kam, wie er verging, und wenn vergangen, wurde sein Gesicht warm wie ein Dorfteich in der Sommersonne und seine Bewegungen verlegen und einem fischenden Bären gleich.

Mit diesen Sätzen beginnt Der geschenkte Gaul (1970) von Hildegard Knef.

Fundstück von Franz Werfel

Ich bin ein Buchstabe irgendwo in einem großen, dicken Roman. Meine eigene Bedeutung kenne ich nicht, noch auch die Bedeutung der wenigen benachbarten Buchstaben, die ich von meinem Platz aus erblicken kann. Ich weiß nicht, zu welcher Silbe wir gehören, aus der, mit anderen Silben, das unbekannte Wort sich zusammenfügt, das uns umfaßt und mit unzähligen andern unbekannten Worten die Zeilen des Buches bildet, die seine Seiten regelmäßig erfüllen. Da ich nicht einmal Sinn und Bedeutung des Buchstabens erkenne, der ich selbst bin, wie könnte ich etwas vom Sinn des ganzen, großen, dicken Romans wissen, von seiner Handlung, Einteilung, von seinem Aufbau, dem Anfang und Ende, den Verwicklungen und Lösungen, Haupt- und Nebenpersonen – und wie gar etwas von seinem Autor? Da ich aber immerhin ein Buchstabe des großen Ganzen bin, wie in einem geheimnisvollen Reigen meine mir unverständlichen Neben-Lettern an den Händen haltend, da ich mithin in einem Zusammenhang stehe, in dem ununterbrochenen Duktus der mir verborgenen Geschichte, der auch meine eigene Existenz durchweht, so erfüllt mich das feste Bewußtsein: ein sinnvolles Teilchen zu sein, das vom lesend-schreibenden Auge jenseits des Buches mühelos entziffert und verknüpft wird. Angestrahlt von diesem jenseitigen Auge, nährt der kleine Buchstabe die sichere Hoffnung, nein, die stolze Ahnung, daß er dem Ganzen nicht nur notwendig zur Ganzheit diene, sondern dessen unermeßlich unbekannten Sinn auch in seiner eigenen Winzigkeit enthalte.

Zitiert nach: Hans Jürgen Balmes (Hrsg.): Mein Erstes Buch – Autoren erzählen vom Lesen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 89 – 90

Aus: Leben heißt, sich mitteilen. Betrachtungen, Reden, Aphorismen, Fischer Verlag 1992

Fundstück von Andrej Kurkow

Selbst das Leben erschien ihm leicht und sorglos, ungeachtet der schwierigen Momente. Nur selten dachte er noch an seine eventuelle Mitwirkung bei irgendwelchen dunklen Geschichten. Was gibt es nicht alles auf der Welt? Es war lediglich ein kleiner Teil des unbekannten Bösen, das um ihn herum existierte, aber es betraf ihn und seine kleine Welt nicht persönlich. Und offensichtlich war die Unwissenheit über seinen eigenen Anteil an diesen dunklen Geschäften die Garantie für seine Ruhe, die Garantie dafür, daß seine Welt nicht angerührt wurde. 

Andrej Kurkow: Picknick auf dem Eis, Diogenes, Zürich 1999, S. 213

Fundstück von Kafka

Auch wenn mir das Zitat von Franz Kafka (1883 – 1924) mit der Axt und dem Meer viel zu dramatisch, einseitig und apodiktisch ist, freue ich mich, den Brief gefunden zu haben, aus dem es stammt.

Kafka schrieb am 27. Januar 1904 an Oskar Pollak (1883 – 1915):

Lieber Oskar!

Du hast mir einen lieben Brief geschrieben, der entweder bald oder überhaupt nicht beantwortet werden wollte, und jetzt sind vierzehn Tage seitdem vorüber, ohne daß ich Dir geschrieben habe, das wäre an sich unverzeihlich, aber ich hatte Gründe. Fürs erste wollte ich nur gut Überlegtes Dir schreiben, weil mir die Antwort auf diesen Brief wichtiger schien als jeder andere frühere Brief an Dich – (geschah leider nicht); und fürs zweite habe ich Hebbels Tagebücher (an 1800 Seiten) in einem Zuge gelesen, während ich früher immer nur kleine Stückchen herausgebissen hatte, die mir ganz geschmacklos vorkamen. Dennoch fing ich es im Zusammenhange an, ganz spielerisch anfangs, bis mir aber endlich so zu Mute wurde wie einem Höhlenmenschen, der zuerst im Scherz und in langer Weile einen Block vor den Eingang seiner Höhle wälzt, dann aber, als der Block die Höhle dunkel macht und von der Luft absperrt, dumpf erschrickt und mit merkwürdigem Eifer den Stein wegzuschieben sucht. Der aber ist jetzt zehnmal schwerer geworden und der Mensch muß in Angst alle Kräfte spannen, ehe wieder Licht und Luft kommt. Ich konnte eben keine Feder in die Hand nehmen während dieser Tage, denn wenn man so ein Leben überblickt, das sich ohne Lücke wieder und wieder höher türmt, so hoch, daß man es kaum mit seinen Fernrohren erreicht, da kann das Gewissen nicht zur Ruhe kommen. Aber es tut gut, wenn das Gewissen breite Wunden bekommt, denn dadurch wird es empfindlicher für jeden Biß. Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder verstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. Das glaube ich.

Aber Du bist ja glücklich, Dein Brief glänzt förmlich, ich glaube, Du warst früher nur infolge des schlechten Umgangs unglücklich, es war ganz natürlich, im Schatten kann man sich nicht sonnen. Aber daß ich an Deinem Glück schuld bin, das glaubst Du nicht. Höchstens so: Ein Weiser, dessen Weisheit sich vor ihm selbst versteckte, kam mit einem Narren zusammen und redete ein Weilchen mit ihm, über scheinbar fernliegende Sachen. Als nun das Gespräch zu Ende war und der Narr nach Hause gehen wollte – er wohnte in einem Taubenschlag -, fällt ihm da der andere um den Hals, küßt ihn und schreit: danke, danke, danke. Warum? Die Narrheit des Narren war so groß gewesen, daß sich dem Weisen seine Weisheit zeigte.-

Es ist mir, als hätte ich Dir ein großes Unrecht getan und müßte Dich um Verzeihung bitten. Aber ich weiß von keinem Unrecht.

Dein Franz

Zitiert nach: Hans Jürgen Balmes (Hrsg.): Mein Erstes Buch – Autoren erzählen vom Lesen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 139 – 140

Aus: Franz Kafka: Briefe 1900 – 1912. Hg. Von H. G. Koch, Fischer Verlag 1999

Fundstück von Margrit Baur über das Nichtstun

Nichtstun bedeutet: eine Weile alles lassen, wie es ist. Mit Ärger und Wut im Bauch ist es nicht zu machen. Voraussetzung ist ein bißchen Nachsicht: gegenüber sich und der Welt. Eine unmerkliche Verschiebung der inneren Gewichte. Weil die Sonne scheint. Weil ich gut geschlafen habe. Weil mir ein Satz geglückt ist. Da wächst hinter der Vorsicht ein schüchternes Vertrauen auf, und ich kann die Hände öffnen, alle Pläne fahrenlassen, stillhalten. […] Ich finde Nichtstun eine wunderbare Sache. Ein wenig wie Kopfstehen: die Perspektiven werden durcheinandergerüttelt, und wenn man wieder auf die Füße kommt, sieht alles anders aus. Und außerdem (aber vielleicht wäre das eine Hauptsache) enthält es einen Keim zum Aufruhr, da es sich wirtschaftlich nicht verwerten läßt.

aus: Margrit Baur: Überleben, Suhrkamp, Frankfurt 1981, S. 152

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Fundstück von Reiner Kunze

Mir in der  Tat jedes Buch beschaffen zu können, das ich lesen will, gehört zu den Grundelementen des Gefühls, ein freier Mensch zu sein.

aus: Hans Jürgen Balmes (Hrsg.): Mein Erstes Buch – Autoren erzählen vom Lesen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 86

Fundstück von Hans Jürgen Balmes

Jeder von uns hat irgendwann diese Liste [der Bücher, von denen man annimmt, sie in seinem Leben leider nicht mehr lesen zu können] im Kopf, trotzdem darf man die Ruhe nicht verlieren und die Lektüre fahrig werden lassen.

aus: Hans Jürgen Balmes (Hrsg.): Mein Erstes Buch – Autoren erzählen vom Lesen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 87

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Fundstück von Dieter Forte

Ich kann mich so sehr in einer Lesewelt verlieren, daß mir die wirkliche ganz fremd wird – was ja gefährlich sein kann, wenn man zum Beispiel aus einem Roman kommt, in dem es keine Autos gibt, und man über die Straße muß.

aus: Hans Jürgen Balmes (Hrsg.): Mein Erstes Buch – Autoren erzählen vom Lesen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 39

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Fundstück von Gerhard Roth

Jeder Leser und jeder wirklich leidenschaftlich Reisende empfindet das Lesen oder eben das Reisen als eine Art Desertieren aus seinen Lebensumständen. Ist man ein guter Reisender, verläßt man sein Zuhause mit dem winzigen Hintergedanken, nie mehr zurückzukehren. […] Die Würze einer Reise ist doch, irgendwohin zu gehen, wo Rückkehr keine Rolle mehr spielt. Sie ergibt sich ja automatisch, aber beim Aufbruch muß sie einem gleichgültig sein.

aus: Hans Jürgen Balmes (Hrsg.): Mein Erstes Buch – Autoren erzählen vom Lesen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 21

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Fundstück von Clare Chambers

The days had passed without great peaks and troughs of emotion; her job and the domestic rituals that went with each season had been sufficiently varied and rewarding to occupy her. Small pleasures – the first cigarette of the day; a glass of sherry before Sunday lunch; a bar of chocolate parcelled out to last a week; a newly published library book, still pristine and untouched by other hands; the first hyacinths of spring; a neatly folded pile of ironing, smelling of summer; the garden under snow; an impulsive purchase of stationary for her drawer – had been encouragement enough. She wondered how many years – if ever – it would be before the monster of awakened longing was subdued and she could return to placid acceptance of a limited life.

aus: Clare Chambers: Small Pleasures, Weidenfeld & Nicolson 2020, S. 328

Fundstück von Karl Philipp Moritz

Allen Lehrerinnen und Lehrern ins Stammbuch:

Möchte dies alle Lehrer und Pädagogen aufmerksamer und in ihren Urteilen über die Entwickelung der Charaktere junger Leute behutsamer machen, daß sie die Einwirkung unzähliger zufälliger Umstände mit in Anschlag brächten, und von diesen erst die genaueste Erkundigung einzuziehen suchten, ehe sie es wagten, durch ihr Urteil über das Schicksal eines Menschen zu entscheiden, bei dem es vielleicht nur eines aufmunternden Blicks bedurfte, um ihn plötzlich umzuschaffen, weil nicht die Grundlage seines Charakters, sondern eine sonderbare Verkettung von Umständen an seinem schlecht in die Augen fallenden Betragen Schuld war.

Aus: Karl Philipp Moritz: Anton Reiser, Könemann, Köln 1997, S. 187

Fundstück von Friedrich Glauser

Was die Menschen doch alles fanden! Da gab es: Eheberater, bestallte Psychologen, Psychotherapeuten, Fürsorger; es waren erbaut worden: Trinkerheilanstalten, Erholungsheime und Erziehungsanstalten … All dies wurde eifrig und bureaukratisch betrieben … Aber viel eifriger noch und weniger bureaukratisch wurden fabriziert: Gasbomben, Flugzeuge, Panzerkreuzer, Maschinengewehre … Um sich gegenseitig umzubringen … Es war wirklich eine kohlige Sache um den Fortschritt…

aus: Friedrich Glauser: Matto regiert (1936), DAS MAGAZIN – Schweizer Bibliothek, Bd 1, S. 187

Fundstück von Olga Tokarczuk

Als wir im zweiten Jahr die Funktion von Schutzmechanismen behandelten und verwundert die Macht dieses Teils unserer Psyche erkannten, verstanden wir allmählich eines: Wenn wir keine Rationalisierung, Sublimierung, Verdrängung, keines dieser Kunststückchen hätten, derer wir uns bedienen, wenn wir ganz schutzlos, ehrlich und mutig die Welt betrachten würden – dann würde es uns das Herz brechen.

Was wir in diesem Studium lernten, war, dass wir aus Schutzvorrichtungen bestehen, aus Schild und Rüstung, wir sind Städte, deren Architektur aus Mauern, Basteien und Befestigungen besteht, wir sind Bunkerstaaten.

aus: Olga Tokarczuk: Unrast, Kampa Verlag, Zürich 2019, S. 19

Fundstück von Karl-Markus Gauß

Das Warten ist die unmerkliche Bewegung des Todes. Immer warten wir auf etwas, auf die Mittagspause, das Wochenende, den Besuch der Kinder, die Beförderung, den Urlaub, das Ende des Urlaubs, die Pensionierung, und darüber werden wir alt und sterben wir.

aus: Karl-Markus Gauß: Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer, Unionsverlag 2020, S. 28

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Fundstück von Eva Sternheim-Peters

Was wäre gewesen, wenn die katholischen Geistlichen, die Ordensschwestern und Ordensbrüder, an denen es in Paderborn, weiß Gott, nicht mangelt, sich 1941 einen Judenstern an die Soutane, das Ordenshabit, die Schwesterntracht gesteckt hätten? Wenn in allen Kirchen offen und unverhüllt für die Juden gebetet und gegen ihren Abtransport gepredigt worden wäre – nicht von Einzelnen, sondern von allen […]? Man hätte die katholischen Sternträger nicht alle verhaften können, ohne das Risiko eines Volksaufstandes in Paderborn einzugehen.

aus: Eva Sternheim-Peters: Habe ich denn allein gejubelt? Europa Verlag, Berlin 2015, S. 423

Fundstück von William Henry Hudson

Meines Erachtens ist nichts so ergötzlich im Leben wie das Gefühl der Entspannung, des Entrinnens und der vollkommenen Freiheit, das man in einer weiten Einöde erfährt, wo der Mensch vielleicht noch nie gewesen war und jedenfalls keine Spur seines Daseins hinterlassen hat.

aus: William Henry Hudson: Müßige Tage in Patagonien, Matthes & Seitz, Berlin 2019, Naturkunden NO. 57, S. 12, aus dem Englischen von Rainer G. Schmidt

Im Original lautet die Stelle:

To my mind there is nothing in life so delightful as that feeling of relief, of escape, and absolute freedom which one experiences in a vast solitude, where man has perhaps never been, and has, at any rate, left no trace of his existence.

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Fundstücke von Edward Abbey

Die Trump-Administration arbeitet inzwischen unter Hochdruck daran, die öffentlichen Ausgaben für die Nationalparks zu reduzieren, möglichst viel der dortigen Infrastruktur zu privatisieren, noch mehr Camper in die Parks zu bringen und ihnen sogar Amazonlieferdienste anzubieten. Siehe diesen Artikel aus dem Guardian. Trump selbst spricht von den „harmful and unnecessary restrictions on hunting, ranching and responsible economic development”, die dringend aufgehoben werden müssten.

Hier kann man, wenn man sich gruseln möchte, die entsprechende Rede, in der alte Schutzbestimmungen mal eben ausgehebelt werden, noch einmal in Gänze nachlesen.

Abbey beobachtete diese Entwicklung bereits 1968:

Manch einer tritt sogar offen und rückhaltlos dafür ein, auch die letzten Überbleibsel der Wildnis auszumerzen und die Natur nicht den Erfordernissen des Menschen, sondern der Industrie zu unterwerfen. Das ist eine mutige Ansicht, bewundernswert in ihrer Einfachheit und Kraft […] Zugleich ist sie ziemlich schwachsinnig, und ich sehe mich außerstande, hier weiter auf sie einzugehen. (S. 70)

Der industrielle Tourismus ist ein Riesengeschäft. Er riecht förmlich nach Geld. An ihm sind Motel- und Restaurantbesitzer, Tankstellenbetreiber, Ölkonzerne, Straßenbaufirmen, Baumaschinenhersteller, Behörend auf Landes- und Bundesebene und die unabhängige, allmächtige Autoindustrie beteiligt. Diese unterschiedlichen Interessengruppen sind gut organisiert, befehlen über mehr Reichtum als die meisten modernen Nationen und sind im Kongress in einer Stärke vertreten, die weit über das hinausgeht, was noch verfassungsgemäß oder demokratisch zu rechtfertigen wäre. (S. 72)

aus: Edward Abbey: Die Einsamkeit der Wüste (1968)

Siehe dazu auch zwei wie immer fantastisch illustrierte Beiträge auf dem Blog Safe Travels:

Fundstück von Edward Abbey

A weird lovely fantastic object out of nature, like Delicate Arch, has the curious ability to remind us — like rock and sunlight and wind and wilderness — that out there is a different world, older and greater and deeper by far than ours, a world which surrounds and sustains the little world of men as sea and sky sustain a ship.  The shock of the real.  For a little while we are again able to see, as a child sees, a world of marvels.  For a few moments we discover that nothing can be taken for granted, for if this ring of stone is marvelous all which shaped it is marvelous, and our journey here on earth, able to see and touch and hear in the midst of tangible and mysterious things-in-themselves, is the most strange and daring of all adventures.

aus: Edward Abbey: Desert Solitaire (1968)

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Fundstück von Elizabeth von Arnim

Wenn man alles Gewicht abwerfen will, das auf der Seele lastet, nachdem man versucht hat, seine Pflicht zu tun, oder wenn man geduldig ertragen mußte, daß andere ihre Pflicht einem selbst gegenüber erfüllt haben, so kenne ich keinen besseren Weg, als alleine hinauszugehen – entweder am Tagesanfang, wenn die Erde noch unberührt ist und nur Gott überall ist, oder am Abend. Dann herrscht das Schweigen bis hin zu den Sternen, und zu ihnen hinaufschauend, erkennt man die Armseligkeit des vergangenen Tages, die Wertlosigkeit aller Dinge, um die man sich gemüht hat, und die Torheit, ärgerlich, ruhelos und angstvoll gewesen zu sein.

aus: Elizabeth von Arnim: Elizabeth auf Rügen (1904), S. 115

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Fundstück von Christopher St. John Sprigg

Nichts Neues unter der Sonne.

In der ansonsten ausgesprochen überflüssigen Neuauflage des Krimis Crime in Kensington (1933) von Christopher St. John Sprigg denkt die Hauptfigur Charles Venables, Hobby-Detektiv und Schmierenjournalist, über seinen eigenen Arbeitgeber, die Zeitung Mercury nach.

A paper that by pandering to the basest sensationalism of the common people climbed on stepping stones of discarded ethics to higher things. A paper whose public had brains with linings so corroded and crusted by jazz, sentimental films and cheap literature that the most earth-shaking events of the world had to be predigested and peptonized before they could be absorbed. A paper whose political policy had been invariably allied with the most reactionary and antisocial elements of English life. (S. 109)

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Fundstück von Walter Kappacher

Nach dem Frühstück hatte er sich aufs Bett gelegt und die Erzählung „The Lesson of the Master“ zu lesen begonnen: „He had been informed that the ladies were at church …“ Es hatte ihm wohlgetan, an der sicheren Hand des Autors in die Geschichte hineingezogen zu werden.

aus: Walter Kappacher: Der Fliegenpalast, Residenz Verlag, 2009, S. 20

Fundstück von Eva Sternheim-Peters

Bei diesen Sätzen aus Eva Sternheim-Peters Buch Habe ich denn allein gejubelt? frage ich mich, wann wir denn die unverhüllten Drohungen, (sexuellen) Gewaltfantasien, die verrohte Sprache und Denkweise, das Verschwörungsgeschwurbele, die Selbststilisierung als Opfer, die Machtdemonstrationen, das Aufrichten von Feindbildern, die Größenwahnwahnsinnsideen und das Einschüchterungsgehabe der Neunazis ernst nehmen und politisch, gesellschaftlich sowie strafrechtlich dagegen vorgehen? Statt diese unselige Suppe zu verharmlosen, zu ignorieren oder ihr gar das Mäntelchen der Meinungsfreiheit umzuhängen.

Der Paderborner SA-Sturm pflegte regelmäßig vor der Krankenkasse das Lied vom Sturmsoldaten anzustimmen, wenn die Marschkolonne bei Dienstschluss ihre Standarte heimbrachte. So musse E.s Familie viele Male den auf die jüdischen Nachbarn gemünzten Refrain mit anhören und ebenso oft das ärgerliche Zischen der Mutter: ‚Ach, das heißt ja nichts‘, wenn es von draußen klar und überdeutlich hereinschallte: ‚Ja, wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut. Soldaten, Kameraden, hängt die Juden, stellt die Bonzen an die Wand.‘ (S. 369)

Fundstück von Olga Tokarczuk

‚Hast du keine Taschenlampe?, fragte er. Natürlich hatte ich eine, aber wo? Das würde ich erst am nächsten Morgen sagen können. So ist es mit Taschenlampen: Am besten man sucht sie, wenn es hell ist.

aus: Olga Tokarczek: Gesang der Fledermäuse, übersetzt von Doreen Daume, S. 9

‚Don’t you have a flashlight?‘ he asked. Of course I had one, but I wouldn’t be able to tell where it was until morning. It’s a feature of flashlights that they’re only visible in the daytime.

aus: Olga Tokarczek: Drive your Plow over the Bones of the Dead, übersetzt von Antonia Lloyd-Jones, S. 3