Mariana Leky: Kummer aller Art (2022)

Da mich die Drolligkeit samt Okapi in Mariana Lekys Bestseller Was man von hier aus sehen kann (2017) eher verschreckt hatte, war ich zunächst skeptisch ob all der begeisterten Stimmen zu ihrem neuesten Buch.

Doch was soll ich sagen: Nachdem ich Lekys gesammelte und bearbeitete Kolumnen aus Psychologie Heute, die jetzt unter dem Titel Kummer aller Art erschienen sind, gelesen habe, gelobe ich, auch alle eventuellen Folgebände unverzüglich anzuschaffen und zu lesen.

Hier werden unsere alltäglichen Kümmernisse und Freuden in kurzen Geschichten liebevoll aufgefächert, wir haben Flugangst, der Nachbar ist ein Scheusal, der geliebte Onkel wird irgendwann sterben. Aber – selten genug –  kann es auch passieren, dass wir plötzlich jemanden treffen, von dem wir gar nicht wussten, dass wir schon immer nach ihm gesucht haben, und dann denken wir:

‚Da bist du ja wieder‘ (S. 157)

Weitere Kümmernisse, die mit Lekys Buch ein wenig kleiner werden: Wir haben eine mittelprächtige Phobie, der Teenager hat den ersten weltgroßen Liebeskummer oder wir fragen uns, was wohl ein verpasstes Leben sein könnte. Manchmal können wir auch einfach nicht einschlafen und die richtigen Antworten auf Grobheiten und Unhöflichkeit fallen uns natürlich erst Stunden oder Tage später ein.

Die unangenehmste Phase [der schlaflosen Nächte], auch da sind sich Frau Wiese und ich einig, ist die, in der die Sorgen zuschlagen. Sorgen haben in durchwachten Nächten bekanntlich sehr, sehr leichtes Spiel, wie Halbstarke, die auf dem Schulhof einen Erstklässler vermöbeln. Bei Übermüdung kommt einem die Verhältnismäßigkeit abhanden: Alles ist plötzlich gleich furchtbar, die Weltlage genauso wie die unbeglichene Rechnung der GEZ. (S. 17)

In den Texten begegnen uns Menschen, die uns lieb und wert werden, wie Onkel Ulrich, ehemals Psychoanalytiker und Onkel der Ich-Erzählerin. Die reizenden Nachbarn Frau Wiese oder Herr Pohl mit seiner ständig zitternden Zwergpinschermischung Lori. Überhaupt tummeln sich im Familienkreis der Erzählerin so einige Psychologen und Therapeut*innen.

Als ich ein Kind war, sind wir oft mit dem Auto in den Urlaub gefahren. Wenn mein Bruder und ich auf dem Rücksitz zu quengeln anfingen und meine Eltern die ewigen Benjamin-Blümchen-Kassetten nicht mehr hören konnten, sagte mein Vater oft: ‚Macht einfach die Augen zu und unterhaltet euch mit Bruder Innerlich.‘ Wir hatten keine Ahnung, wer Bruder Innerlich war, aber wir hatten sehr guten Kontakt zu ihm. (S. 19)

Der ein oder die andere Leserin mag die Geschichten möglicherweise als zu harmlos und betulich empfunden haben; Themen wie Gewalt, Krieg, Armut oder Menschenfeindlichkeit spielen hier allesamt keine Rolle. Doch es darf auch mal eine Nummer kleiner sein. Denn Leky schreibt so wunderbar emphatisch, freundlich, witzig, liebevoll, tröstlich und mit wunderschön schrägen Bildern, dass ich drohe, komplett im Kitsch zu versinken, wenn ich hier auch nur einen Satz mehr schreibe.

In der Ruhe liegt die Kraft, da liegt sie momentan nicht besonders günstig, denn die Ruhe habe ich offenbar zu Hause gelassen, deshalb habe ich auf die darin befindliche Kraft keinen Zugriff. (S. 69)

Aus aktuellem Anlass hier ein letztes Zitat:

Er [Onkel Ulrich] erzählt, dass früher, als er noch Psychoanalytiker war, die Friseurbesuche seiner Patientinnen oft mindestens eine Therapiesitzung in Anspruch nahmen. […] Für Frauen, erzählte Ulrich, spiele sich beim Friseur mitunter das Drama ihres Lebens nach. Man hat dem Friseur genau gesagt, wie man sein Haar haben möchte, aber er hat nicht zugehört oder einen nicht verstanden und hat einem etwas ganz anderes  an den Kopf geschnitten, und dann läuft man unverstanden und entstellt und wie mit Pech begossen nach Hause. (S. 59)

Das Fazit von Annemarie Stoltenberg auf NDR:

Das alles ohne Kitsch, liebenswürdig, fragil. Mariana Leky hat die Gabe, uns zu vermitteln, wie es gelingen kann, jeden Menschen so wahrzunehmen, wie er ist, ohne Besserwisserei, ohne „Ich würde doch nie“-Gemurmel. Das ist schön.

Stephen Grosz: The Examined Life – How We Lose and Find Ourselves (2013)

Ich mag das, wenn sich für mich Fäden zwischen Büchern entwickeln, die auf den ersten Blick überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Das ging mir so mit der Novelle Leutnant Burda (1887) von Ferdinand von Saar aus der Sammlung Requiem der Liebe und andere Novellen und den modernen Fallgeschichten des amerikanischen Psychoanalytikers Stephen Grosz, der schon lange in London lebt und arbeitet.

Leutnant Burda war eine der Erzählungen von Ferdinand von Saar, die mir besonders gefallen hatten. Ihr Inhalt sei hier kurz umrissen:

Der fast 30-jährige, gut aussehende, korrekte und beliebte Offizier Joseph Burda hält sehr auf seine äußere Erscheinung und sich, was seine Wirkung auf die Damenwelt angeht, für unwiderstehlich.

Für ihn und seine Heiratspläne beginnt das „weibliche Geschlecht erst bei der Baronesse“ (S. 282), das ist – abgesehen von der Arroganz dieser Haltung – auch insofern ein Problem, da er selbst aus sehr einfachen Verhältnissen kommt. Burda lässt allerdings Nachforschungen anstellen, um nachzuweisen, der Nachfahre eines altes Adelshauses zu sein. Doch diese Hoffnungen werden sich als Luftgespinste erweisen.

Das alles hindert ihn nicht, sein Augenmerk auf eine Tochter eines der wichtigsten Fürsten am Wiener Hof zu richten. Er schickt ihr Gedichte, Blumen und beobachtet sie im Theater, interpretiert die Wahl ihrer Kleiderfarbe in seinem Sinn und deutet überhaupt alles, was er aus der Ferne von ihr sieht, hört und erfährt, als Zeichen ihrer Neigung. Ein zufälliges Vorbeifahren ihrer Kutsche ist damit quasi schon ein Versprechen auf ihre unverbrüchliche Treue.

Es war erstaunlich, wie Burda sich alles und jedes zurechtlegte. Und in der Tat, wenn er sich hinsichtlich der Gefühle, die er der Prinzessin zumutete, nicht einer vollständigen Täuschung hingab, so erschienen seine Hoffnungen, so abenteuerlich sich diese ausnahmen, nicht ohne einen gewissen Haltpunkt. (S. 303)

Weder seine Freunde noch Abgesandte des Fürsten, die ihn auffordern, sein unziemliches und lästiges Betragen einzustellen, können ihn von seiner Wahnvorstellung, dass die Prinzessin ihm gewogen sei, heilen.

Und nun zu The Examined Life – How We Lose and Find Ourselves des Psychoanalytikers Stephen Grosz (*1952), der immer wieder auch literarische Figuren zur Illustration heranzieht: Seine 31 verdichteten Fallgeschichten aus seiner über 25-jährigen Arbeit als Therapeut wurden zu einem Bestseller und inzwischen in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die deutsche Übertragung von Bernhard Robben erschien unter dem dämlichen Titel Die Frau, die nicht lieben wollte. 

Es geht um die Horrorszenarien, die wir uns so lebhaft ausmalen, um Ehefrauen, die sich die Untreue ihres Mannes nicht eingestehen können, um Rache, traurige Kinder und die Verdrängung nicht eingestandener Persönlichkeitsanteile, die wir dann umso rabiater bei anderen bekämpfen. Aber auch ein spätes Coming-Out sowie die langen Schatten, die unsere Kindheit auf unser erwachsenes Leben werfen kann, kommen zur Sprache oder eben – wie bei Joseph Burda – eine Form des Liebeswahns.

Grosz bezeichnet ein solches Verhalten in seinem Buch als lovesickness. Er meint damit eine auf eine andere Person gerichtete irreale Wunschvorstellung, die beispielsweise eine Frau jahrelang trotz aller anderslautenden Beweise hoffen lässt, dass sich ihr verheirateter Geliebter für sie von seiner Ehefrau trennen wird.

Dieses Kapitel How lovesickness keeps us from love zeigt exemplarisch, wie der Autor vorgeht. Er stellt sich nie über seine Klient*innen, gesteht eigenes berufliches Scheitern ein, ist unglaublich interessiert an seinen Mitmenschen und hilft geduldig, mit freundlicher Empathie und entsprechendem Sachverstand den Ursachen der jeweiligen Verhaltensweise auf den Grund zu kommen. Hier zeigt er auf, welche Konsequenzen solch eine lovesickness mit sich bringt und welche Erkenntnisschritte, welcher Schmerz ausgehalten werden müssen, damit Heilung geschehen kann.

Most of us have come down with a case of lovesickness at one time or another, suffering its fever to a greater or lesser degree. […] When we are lovesick, we feel that our emotional boundaries, the walls between us and the object of our desire, have fallen away. We feel a weighty physical longing, an ache. We believe that we are in love. (S. 110)

Doch auch das Kapitel um unsere Unwilligkeit, einen kleinen Verlust zu akzeptieren, um einer größeren Gefahr zu entgehen, illustriert anhand der Erfahrungen von Marissa Panigrosso, einer der Überlebenden des Anschlags am 11. September 2001, fand ich sehr eindrücklich. Panigrosso flüchtete sofort, nachdem klar war, dass etwas passiert war, mit dem (vorletzten) und ansonsten menschenleeren Fahrstuhl in einem der Twin Tower nach unten und brachte sich damit in Sicherheit. Andere folgten den Lautsprecheransagen, stiegen aufs Dach oder rannten zurück, um noch etwas aus ihrem Schreibtisch zu holen oder taten – gar nichts.

We don‘t want an exit if we don‘t know exactly where it is going to take us, even – or perhaps especially – in an emergency. (S. 123)

In verschiedenen Interviews erklärt Grosz, was ihn zu diesem Buch motiviert hat. Zum einen sei er erst sehr spät Vater geworden und möchte seinen Kindern etwas von seiner Sicht auf die Welt mitgeben, da man nie wissen könne, wie lange er noch Zeit mit ihnen verbringen kann. Zweitens hält er Geschichten für eine viel sinnvollere Art, Erfahrungen und Einsichten aus seiner Arbeit weiterzugeben, als rein wissenschaftliche Berichte oder gar statistische Angaben. Außerdem ist ihm bewusst:

Also, psychoanalysis requires time and money, and many people won’t be able to afford it. I wanted to set down some of the important things I’ve learned in a way that may be helpful to those who are unable to have psychoanalysis or therapy.

Was könnte die Leserin, der Leser also von diesem Buch lernen?

The first […] is that change involves loss. In fact, all change involves loss, and yet life itself is change – we are always giving up something for something else. And the point is that we lose ourselves when we try to deny those changes, when we deny that life entails loss. […]

Thereafter we mend ourselves, Grosz believes, „by repairing our relationship with the lost, by acknowledging that these were losses. We can find ourselves by facing truths about our lives and about these losses, by facing the truth about how our relationships with people really are, not how we’d like them to be.“ In other words, by truly telling our stories.

Hier geht es lang zu einem Interview mit Stephen Grosz.

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Fundstück von Tilman Spengler

Wir können uns einbilden, attraktiver auszusehen, wenn wir dem einen oder anderen Modehinweis folgen. Oder verlockender zu riechen. Wir können auch lernen, raffinierter zu kochen, anmutiger Treppen zu steigen oder tiefer in die Ferne zu reisen. Unsere Gesellschaft und Wirtschaft offerieren ihren Subjekten mannigfaltige Möglichkeiten, ein gefälliges Bild ihrer selbst zu entwerfen oder entwerfen zu lassen.

Aber nachdem scheinbar alles gerichtet ist, die Frisur, die Bügelfalte, die Tischblumen, nachdem der Personal Trainer fürstlich entlohnt, das Aftershave gewandt einmassiert wurde, kommt es unweigerlich zu einer Situation, auf die uns keine herkömmliche Erziehung vorbereitet hat, eine Konstellation, für die jeder brauchbare Ratgeber fehlt. Wir müssen den Mund aufmachen und ein Gespräch führen. Ein Gespräch!

Das Buch von Tilman Spengler: Sind Sie öfter hier? Von der Kunst, ein kluges Gespräch zu führen (2009) beginnt also sehr vielversprechend, aber dann breitet der Autor seine Bildungsschätze, Anekdoten und Beobachtungen vor dem Leser aus. Ich weiß jetzt, was ein Kummerbund ist und dass dieser so gar nichts mit unserem deutschen Wort Kummer zu tun hat.

Doch wirklich hilfreich ist das nicht und überhaupt auch eher unwahrscheinlich, dass ich je in die Situation komme, dies im Sinne Spenglers in einem Gespräch einfließen zu lassen.

Der Kummerbund ist eine von Männern getragene Schärpe (Leibbinde).

Wahrscheinlich brachten britische Soldaten zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft die Schärpenmode aus Indien nach Europa: Wegen des tropischen Klimas war den Offizieren die Weste unter dem Jackett schlicht zu warm. Als Ersatz übernahmen sie die Sitte der Inder, eine Bauchbinde aus edlen Stoffen, den sog. kamarband, zu tragen. Aus Persisch kamarband (= Hüftgürtel) wurde dann phonetisch das noch heute gebräuchliche englische Wort cummerbund (auch cumberbund). Von da war es sprachlich nur noch ein kleiner Schritt zum deutschen Wort Kummerbund, das nichts mit der Bedeutung von Kummer zu tun hat.

Von Indien gelangte die neue Mode dann zunächst nach England, wo die Leibbinde in drei bis vier waagerechten Falten seit 1893 beim Abendanzug eine Alternative zur Weste darstellte. Seit etwa 1930 setzte sich der Kummerbund zum Smoking dann auch im übrigen Europa immer mehr durch.

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Raphael M. Bonelli: Selber schuld (2013)

Über Sex zu sprechen ist heute kein Problem mehr, weder in Therapien noch in Talkshows. […] Aber über eigene Fehler sprechen – das geht gar nicht. Nichts ist so intim wie die eigene Schuld. Die Abwehraggression bei dem Thema ist deutlich spürbar, besonders auffällig natürlich bei Paartherapien, bei denen jeweils „Unschuld“ auf Beschuldigung prallt. […] Wir verdrängen unsere Schuld, weil sie letztlich Schmerz bedeutet und wir Angst vor Schmerz haben. Viele Menschen tun sich heute schwer, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, und haben sich ein entlastendes Erklärungsmuster von Fremdbeschuldigung und Selbstmitleid zurechtgelegt. Fast jeder sieht sich als Opfer. Dieser Mechanismus ist aber der seelischen Gesundheit nicht förderlich …

Mit diesen Sätzen beginnt das  erhellende Buch des österreichischen Professors mit dem provokant-saloppen Titel Selber schuld (2013).

Der 1968 geborene Neurowissenschaftler, Psychiater und Psychotherapeut setzt sich hier vor allem mit der menschlichen Eigenschaft auseinander, selbst nie an der eigenen Misere schuld sein zu wollen. Schuld sind die anderen, die Eltern, die Lehrer, der Partner, die Lebensumstände usw.

Die Verdrängung eigener Schuld und das Ausweichen in die Fremdbeschuldigung und die Opferrolle schränken uns aber enorm in unserem Handlungsspielraum ein, denn als Opfer könne man nichts tun, um sich aus Verstrickungen zu befreien, in die man sich möglicherweise selbst hineinmanövriert hat. Wie der Ehemann, der den Therapeuten anschnauzt, dass der ihn nicht verstehe. Er leide doch so sehr unter der belastenden Situation, sich nicht zwischen Geliebter und Ehefrau entscheiden zu können.

Lösungsansätze können also nur sein: Selbsterkenntnis und der Mut, Fehler und Schuld einzugestehen. Deshalb kann Bonelli dem Ansatz mancher Psychiater-Kollegen, die jegliches Schuldgefühl bei ihren Patienten am liebsten sofort wegtherapieren wollen, nichts abgewinnen, weil das den Weg zur Selbsterkenntnis blockiere.

Dabei macht der Autor immer wieder unmissverständlich klar, dass es ihm in diesem Buch NICHT um Schuldgefühle und Belastungen geht, die beispielsweise aus Stoffwechselstörungen, Krankheiten oder aus traumatischen Erlebnissen herrühren. Er will keine Schuldgefühle züchten, sondern dazu ermutigen, einen einmal erkannten Fehler, eine Schuld nicht zu verleugnen, sondern an ihr zu reifen und den Handlungsspielraum zurückzugewinnen, den Verleugnung, Verdrängung, Opferstatus und Fremdbeschuldigung eingenommen hatten.

Er geht dabei u. a. folgenden Mechanismen näher auf den Grund:

Es gibt eine Reihe von psychopathologischen Mechanismen, die dem normalen, fehlerhaften Menschen die Schuld nehmen und ihn in ein Unschuldslamm verwandeln: Perfektionismus, Ichhaftigkeit, Selbstwertüberhöhung, Narzissmus, Selbstempathie, Wehleidigkeit, Sentimentalität, Selbstmitleid, Abgrenzung, Lebenslügen, Selbstbetrug und innere Widersprüchlichkeit. […] Alle diese Faktoren sind verwandt miteinander, bedingen einander und überschneiden sich auch teilweise. Sie nehmen die Verantwortung und blockieren den Menschen in der Makellosigkeit. Alle diese Ingredienzien sind jedenfalls zur artgerechten Aufzucht eines makellosen Unschuldslamms hilfreich. (S. 67)

Im letzten Teil erarbeitet er anhand der alltagstauglichen Begriffe Kopf, Herz und Bauch, wie der Mensch vermeiden kann, in die oben genannten Fallen hineinzutappen.

Bonelli weitet den Blick auf die Auswirkungen, die der gängige Zeitgeist – alles ist locker-flockig easy und erlaubt – so mit sich bringen kann. Dazu bedient er sich zum einen vieler Fallbeispiele, die nur auf den ersten Blick nichts mit unserem „normalen“ Alltag zu tun haben, bei genauerem Hinsehen jedoch genau die Denkweisen und Denkfallen veranschaulichen, die die meisten von uns sicherlich kennen.

Zum anderen leitet er die großen Abschnitte jeweils mit einer literarischen Gestalt ein, die er darauf hin untersucht, wie sie mit Schuld und Schuldgefühlen umgeht. Da findet sich Faust neben Franz Moor und Gregorius neben Richard York. Auch Michael Kohlhaas, Anton Hofmiller, Raskolnikow und Ebenezer Scrooge haben ihre Auftritte. Jean Valjean bildet den krönenden Abschluss.

Fazit

Ich bin froh, dass madame flamusse im November 2013 auf dieses Buch aufmerksam machte. Ich habe es gern und mit Gewinn gelesen, am Ende fühlte ich mich ein bisschen so, als hätte ich mal wieder die Windschutzscheibe geputzt.

Der Autor mit der beeindruckenden Vita schreibt in einer unakademischen, stets auch für den Laien verständlichen Sprache und arbeitet mit Humor und Übertreibung. Er zeigt, wo es notwendig ist, die Überschneidungen, aber auch die zu beachtenden Grenzen zwischen Psychologie als Wissenschaft, Therapie und Religion. Immer wieder bettet er seine Erkenntnisse in den wissenschaftlichen Kontext und die Arbeit anderer Kollegen ein und wer will, könnte danach anhand der erwähnten Literatur ein ausgedehntes Selbststudium betreiben. Sicherlich wird man ohnehin das ein oder andere auch noch mal lesen müssen, denn alle Informationen sind beim ersten Lesen gar nicht abzuspeichern.

Außerdem macht sein Buch deutlich, dass verschiedene therapeutische Schulen eben verschiedene Menschenbilder als Grundlage haben und man vermutlich gut damit beraten wäre, dies zu Beginn einer Therapie zu klären.

Nicht zuletzt die Beispiele aus der Weltliteratur haben mir Spaß gemacht und mal wieder gezeigt, die großen Autoren sind allesamt begnadete Menschenkenner gewesen.