Fundstück von Ingeborg Bachmann

So kann es auch nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein, den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn, im Gegenteil wahr haben und noch einmal, damit wir sehen können, wahr machen. Denn wir wollen alle sehend werden. Und jener geheime Schmerz macht uns erst für die Erfahrung empfindlich und insbesondere für die der Wahrheit.
Wir sagen sehr einfach und richtig, wenn wir in diesen Zustand kommen, den hellen, wehen, in dem der Schmerz fruchtbar wird: Mir sind die Augen aufgegangen. Wir sagen das nicht, weil wir eine Sache oder einen Vorfall äußerlich wahrgenommen haben, sondern weil wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Und das sollte die Kunst zuwege bringen, daß uns, in diesem Sinne, die Augen aufgehen. (…)

Wie der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch Darstellung, so ermutigen ihn die andren, wenn sie ihm, durch Lob und Tadel, zu verstehen geben, dass sie die Wahrheit von ihm fordern und in den Stand kommen wollen, wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar.

Ingeborg Bachmann in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden am 17. März 1959

Quelle:  schorschkamerun.de

Entdeckt auf dem Blog Seelen-Snack.

 

Autor: buchpost

- mein buchregal: schon lange ein gegengewicht zu beruf und engstirnigkeit - ziele: horizont weiten, mich vergnügen und das wichtige behalten

4 Kommentare zu „Fundstück von Ingeborg Bachmann“

  1. ich hinterlasse hier einen hocherfreuten kommentar, den ich ihn hinter jeden einzelnen eintrag deiner fundstücke setzten könnte: wie schön, das lesen aus verschiedenen perspektiven so genau als kompass des eigenen lebens beschrieben zu bekommen. „leben, denken, schauen“ – wie viel schwerer hätten wir es da ohne bücher. und: schön auch die plädoyers fürs nochmal lesen! wenn mir da noch mal jemand mit „zeitverschwendung“ kommt…

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