Literaturkritik und Literaturblogger – Profis versus Dilettanten?

Die Debatte um das Verhältnis zwischen professionellen LiteraturkritikerInnen und LiteraturbloggerInnen ist mal wieder in aller Munde.

Literaturgefluester stört sich an dem in die Debatte geworfenen Begriff des Dilettanten, der für mich zwar auch einen abwertenden Beigeschmack hat, der aber eben auch zum Ausdruck bringt, dass Blogger für ihr Tun und Treiben kein Geld bekommen.

Besonders Petra hat unter dem Titel Das große Missverständnis dankenswerterweise herausgearbeitet, dass man erst einmal klären muss, ob sich Äpfel so ohne Weiteres mit Birnen vergleichen lassen. Die Bloggerin/der Blogger verfolgt u. U. ganz andere Zielsetzungen als der bezahlte Literaturkritiker. Deshalb darf man sie/ihn auch nicht dauernd schelten, wenn er die angeblichen Anforderungen des Feuilletons nicht erfüllt.

Tilman hat das in seinem Artikel Gleichmacher machen Meinungsmacher auf 54books ebenfalls sehr lesenswert aufgefächert.

Der Hedoniker erinnert daran, dass man vielleicht nicht alle Blogs über einen Kamm scheren sollte, das wäre genauso dämlich, wie allen Printmedien die gleiche Qualität zu bescheinigen.

Sophie hat auf Literaturen gefragt: Quo vadis, Literaturkritik? Auch dort zeigte sich in den Kommentaren eine interessante Bandbreite: Blogger wie Karo sagen, nichts könne ihr egaler sein, als was professionelle Literaturkritiker von ihrem Just-for-Fun-Blog halten, bis hin zu Sophie, die sich wünscht, dass Literaturblogs ihren schlechten Ruf verlieren und dass ihr Tun von Leuten anerkannt wird, die „davon Ahnung haben“.

Claudia nimmt auf dem Grauen Sofa u. a. das Verhältnis zwischen Feuilleton und Bloggern noch einmal etwas genauer unter die Lupe.

So haben viele Leserinnen und Leser – mal verwundert, mal empört und manchmal auch ganz abgeklärt – viele Argumente genannt, die ich hier nicht zu wiederholen brauche.

Ergänzen möchte ich noch Folgendes:

  1.  Der Zug ist abgefahren und lässt sich nicht mehr aufhalten. Zwar hat Sigrid Löffler in dem Interview, das Linus mit ihr führte, einfach behauptet:

Benötigt werden die Kompetenz, die Leidenschaft und das unabhängige Urteil des Kritikers, denn diese Qualifikationen sind unentbehrlich in der geheimen Solidargemeinschaft von Autoren und ihren Lesern. Wenn die richtigen Bücher und die richtigen Leser zusammenfinden sollen, dann bedarf er der kritischen Moderation der Literaturkritiker. Das können weder die Werbesprüche von Marketing-Leuten, Service-Journalisten oder Fernseh-Marketenderinnen, noch die zumeist durch nichts legitimierten Laien-Kritiker im Internet.

Ich halte dagegen: Die Mehrzahl der von mir gelesenen BloggerInnen sind kompetent – oft durchaus mit passendem akademischen Hintergrund -, schreiben aber unakademisch, d. h. lesbar und sind mit Leidenschaft bei der Sache – warum sonst schlagen sie sich trotz Berufstätigkeit jede Woche Stunden mit ihrem Blog um die Ohren? Und ihre Unabhängigkeit kann wohl kaum bestritten werden: Sie werden weder von Verlagen noch Zeitungen bezahlt, wählen ihre Lektüre selbst aus und müssen nicht dem letzten Schwung der Neuerscheinungen hinterherhecheln.

Und nur weil Frau Löffler glaubt, für den richtigen Leser unentbehrlich zu sein, muss ich das ja nicht genauso sehen.

2. Da können die bezahlten Kritiker schimpfen und den Untergang der ernsthaften Literaturbesprechung an die Wand malen, zu spät, die LeserInnen entscheiden selbst, wo – nur im Feuilleton, auf Blogs, auf YouTube oder gar in verschiedenen Formaten – sie sich informieren. Insofern steht den Bloggern eine gewisse Entspanntheit gut zu Gesicht.

3.  Ich würde stattdessen viel lieber mal wissen, worin die Profis nun ganz genau ihre Kompetenz sehen, welche Kriterien sie an die von ihnen besprochenen Werke anlegen. Dann könnte man nämlich über das reden, was uns wichtig ist, die Literatur selbst, dann könnte man – so man dies überhaupt möchte – vielleicht sogar voneinander lernen. Aber vielleicht ist das illusorisch, denn die Abwehrreflexe des Feuilletons scheinen mir durchaus der Angst geschuldet zu sein, irgendwann obsolet zu werden.

Und schauen wir uns einmal drei Profis genauer an:

Harold Bloom, einflussreicher Kritiker, Shakespeare-Kenner und Literaturprofessor, schrieb How to Read and Why (2000).

John Sutherland, ebenfalls Kritiker und Literaturprofessor, schrieb 2006 How to read a novel?.

Beide Bücher verdeutlichen, dass auch studierte Profis eben über kein Geheimrezept für das Lesen und Bewerten von Literatur verfügen.

Hans-Dieter Gelfert, Professor für englische Literatur, versucht unter dem Titel Was ist gute Literatur? eine Hilfestellung zu geben, „wie man gute Bücher von schlechten unterscheidet“. Er schreibt auf S. 26/27:

Die Literaturgeschichte gibt reichlich Anlass, an der Kompetenz der Kritiker zu zweifeln. Blickt man auf das vergangene Jahrhundert zurück, findet man dort Autoren, die als Sterne erster Ordnung galten und inzwischen wie Kometen verglüht sind. […] Am meisten irritiert die Tatsache, dass oft die später am höchsten geschätzten Werke zuerst einmal negative Kritiken bekommen, während die einmütig gepriesenen bald in der Versenkung verschwinden.

Daraus folgt für Gelfert nun nicht, dass es keine objektiven Wertmaßstäbe gebe, aber es könne Jahrzehnte dauern, bis die sich in der Beurteilung eines Werkes gegen die bloß subjektiven Vorlieben durchsetzen.

Aber das ist dann eine andere Geschichte.

Autor: buchpost

- mein buchregal: schon lange ein gegengewicht zu beruf und engstirnigkeit - ziele: horizont weiten, mich vergnügen und das wichtige behalten

19 Kommentare zu „Literaturkritik und Literaturblogger – Profis versus Dilettanten?“

  1. Danke Anna für diese aufschlussreiche Zusammenfassung! Mit dem Zitat Gelferts könnte man diese Debatte herrlich treffend überschreiben ..wir reden eben hier nicht von der Funktionstüchtigkeit eines Geräts, sondern von Kunst, die, das macht sie ja so reizvoll, eben immer zu großen Teilen subjektiven Empfindungen entspringt.

    1. Hallo Sophie, ja, das gefiel mir auch, dass Gelfert sich nicht vorschnell hinter Kompetenzgerangelgerede versteckt, sondern die subjektive Komponente bei der Bewertung von Kunstwerken miteinbezieht. Ich bin jedenfalls gespannt, wie seine Argumentation weitergeht, denn er will ja schon auf bestimmte Maßstäbe hinaus, die man an Literatur anlegen kann. Und die gibt es ohne Frage. LG und einen schönen Feiertag. Anna

  2. Mei, das sind halt so Debatten. Man kann doch recht schnell die Spreu vom Weizen trennen – im Feuilleton und bei den Blogs. Aber genau diese Auswahl trifft jeder für sich.

    1. Da hast du selbstverständlich recht. Mich verwundert nur das Beharren der professionellen Kritiker auf einem Standpunkt, der mich argumentativ so gar nicht überzeugen kann. Vielleicht auch ein wenig die Verbissenheit, die in den Worten von Frau Löffler zum Ausdruck kommt… LG

  3. Die Verbissenheit kommt aus einem Defensiv-Reflex – nicht nur beim Feuilleton, allgemein laufen den Printmedien ja die Leser davon und wechseln in die digitale Welt. Aber wie Du unter Punkt 3 schreibst: Mich würde auch stark interessieren, woher die „Profis“ ihre Kompetenz herleiten. Obwohl selbst Journalistin, hat sich mir das Berufsbild des Kritikers noch nie richtig erschlossen 🙂

    1. Na, wenn das schon eine Fachfrau sagt 🙂 Ich denke auch, dass diese Verbissenheit, dieses Revierverteidigungsgehabe ein Abwehrmechanismus ist, bei dem die Literatur ein bisschen aus dem Blick zu geraten droht, als ob man ein geheimes Herrscherwissen hüten müsste. Letztlich bekommen die meisten Schreibenden (egal, ob beruflich oder auf einem privaten Blog) vermutlich genau die Leser, die sie sich durch ihre Artikel erarbeitet haben, sprich die Leser, die sich angesprochen fühlen von der Literaturauswahl, dem Stil des Schreibenden und den Kriterien, die dieser seiner Beurteilung zu Grunde legt.LG und einen schönen Feiertag, hier auf jeden Fall im Regen, egal. Anna

  4. Eine tolle Zusammenfassung und „Weiterdenkung“ der aktuell wieder aufgeflammten Diskussion, danke dafür! Ich war der Annahme, dieser Grunddiskussion schon müde geworden zu sein, deine Übersicht macht mich aber gerade doch wieder nachdenklich und interessiert… Denn wie du denke ich mittlerweile, dass ein Aufeinanderzu- und -eingehen doch wesentlich zielführender wäre, als die Gräben noch zu vertiefen… Vielleicht sollten beiderlei Schreiberlinge (Feuilletonisten ebenso wie Blogger) das gar nicht so getrennt voneinander sehen, bspw. lese ich, wenn ich mich für ein Buch interessiere, sowohl Blogbeiträge (ich behaupte mal, der eher qualifizierteren Blogs) als auch Kritiken im Feuilleton und ziehe mir aus beidem die relevanten Informationen… Beim Lesen fällt manchmal gar kein so großer Unterschied mehr auf, inhaltlich, was daran llegen mag, dass eben die von mir gelesenen Blogger auch reflektierte und begründete Kritiken schreiben. Aber der eine große Unterschied bleibt – und das ist das Geld. (Und ich habe oft den Eindruck, dass das auch der Grund für gewisse Abschätzigkeiten und Grundängste gegenüber Bloggern ist).

  5. Liebe Anna,
    das war ein herzerfrischender und klarsichtiger Kommentar!
    Menschen, die sich selbst allzu wichtig nehmen, sind mir per se suspekt. Wer sollte sich anmaßen dürfen, zu beurteilen, welche Literatur ich gerne lese? Und wird eine Kritik durch verkopfte Formulierung und hochprofessionellen Aufbau besser oder wird sie unter Umständen gar zum peinlichen Selbstzweck?
    Ich freue mich, wenn Blogger/innen Spaß an Büchern haben und mir davon auf ihre eigene Weise erzählen. Und wenn ich selbst einmal eine kleine Buchbesprechung schreibe, so habe ich allein den Anspruch, vielleicht jemandem Gleichgesinnten damit etwas Spaß zu bereiten.
    Was etwaige hochdekorierte Kritiker davon halten, könnte mir nicht gleichgültiger sein.
    Ich plädiere – wie auch sonst im Leben – für Liberalität und Toleranz. 😉

  6. Danke für das Sammeln dieser Beiträge. Irgendwie ist die Diskussion bisher an mir vorübergegangen, weswegen ich ganz froh war mich jetzt hier ganz einfach durchklicken zu können. Ich lasse es jetzt mal meinen eigenen Senf auch noch ausführlich darzulegen. Nur zwei kurze Gedanken:
    1. Genauso wenig wie Blogger den Kritikern ihre Kompetenz in der Literaturanalyse absprechen können, sollten Kritiker den Bloggern das Können absprechen eine eigene Meinung (zu einem Buch) zu formulieren. Denn das machen die meisten Bücherblogs (nicht mehr und nicht weniger).
    2. Während ich in meiner Teenagerzeit – als Leseratte verschrien – noch schief angeguckt worden bin, wenn ich ein Buch in der Öffentlichkeit gelesen habe, genieße ich heute umso mehr den Austausch mit anderen Lesern und Bloggern. Auch habe ich das Gefühl, dass die Zahl der Leser generell zugenommen hat und man weniger schief angeschaut wird. Und ich wage zu behaupten, dass diese Entwicklung herzlich wenig mit professioneller Literaturkritik zu tun hat.

    1. Danke für deinen Kommentar. Schön, dass du noch mal auf den Aspekt des Austauschs hinweist, das sehe ich auch als einen der größten Pluspunkte beim Bloggen. Wie viele Bücher allein aufgrund von Blogbeiträgen hier eingezogen sind, müsste ich eigentlich mal nachschauen. Und ich freue mich, über so viele unterschiedliche Bücher informiert zu werden, selbst wenn das keine für mich wären. BloggerInnen ersetzen mir auch oft genug den Austausch über Bücher, den ich in meiner unmittelbaren Umgebung nicht finden würde. Ob die Zahl der Leser zugenommen hat, weiß ich nicht. Als Lehrerin bin ich da manchmal skeptisch… LG, Anna

      1. Hihi, als Lehrerin hat man da noch andere Einblicke.^^ Ist auch nur so ein Bauchgefühl, dass mehr gelesen wird. Zumindest habe ich etliche Leute in meiner Umgebung, die sehr sehr viel lesen.

  7. Liebe Anna, ich danke für die Zusammenstellung, aber vor allem für deine weiterführenden Gedanken zum Thema. Ja, da herrscht viel Verbissenheit und Angst auf Seiten des klassischen Feuilleton. Ich kann mich noch gut an eigene Zeitungszeiten mit regelmäßigem Literaturteil erinnern, von Literaturblogs sprach da noch niemand. War auch kommod, so ein Quasi-Monopol. Heute schaffe ich nicht mal als Leserin alle Literaturseiten im Netz. Manchmal strengt mich die Fülle an, vieles interessiert mich inhaltlich nicht, manches finde ich einfach schlecht geschrieben. Da muss man erst mal durch, die subjektive Spreu vom subjektiven Weizen trennen. Aber schön ist es, so viel Spreu und so viel Weizen im Trog zu haben. Und was habe ich nicht schon für Perlen entdeckt auf den verschiedenen Blogs! Ganz zu schweigen vom direkten Austausch, den das Feuilleton nicht bietet – Petra ist auf Philea’s Blog näher darauf eingegangen. Liebe Grüße!

    1. Hallo Maren, da sprichst du auch einen wichtigen Aspekt an, die Überfülle an Informationsangeboten, aus denen man erst einmal wieder das für einen selbst Relevante herausfiltern muss. Selbst die durchaus interessanten Feuilletonseiten schaffe ich – schon zeitlich – oft gar nicht. Und was für ein herrlicher Satz „Aber schön ist es, so viel Spreu und so viel Weizen im Trog zu haben“. Der atmet Weite, danke! Ein wunderbares Wochenende! Anna

  8. Hat dies auf bikMAG rebloggt und kommentierte:
    Da wir gerade beim Literatur-Begriff sind, hier noch ein Artikel zur Kontroverse zwischen (professioneller) Literaturkritik und Literaturbloggern, von Anna auf „Buchpost“ sehr gut zusammengefasst.

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