Pieter Steinz: Der Sinn des Lesens (OA 2015)

Anscheinend war der niederländische Originaltitel Lezen met ALS. Literatuur als levensbehoefte dem Reclam Verlag nicht schmissig genug, dabei ist er präziser und schickt die Leser nicht so in die Irre wie der deutsche Titel.

Denn es geht weniger um den Sinn des Lesens, sondern darum, dass der an ALS erkrankte Pieter Steinz, umtriebiger Journalist, Autor zahlreicher Werke und eine Instanz der niederländischen Literatur, seine noch verbleibende Zeit zwischen Diagnose und Lebensende u. a. den Menschen und Bedürfnissen widmen wollte, die ihm wertvoll waren. Und eines dieser Lebensbedürfnisse war die Literatur.

Für mich waren meine kleinen Essays in erster Linie ein guter Grund, um noch einmal eine Reihe meiner Lieblingsbücher lesen zu können. Außerdem bot das Schreiben eine wunderbare Möglichkeit, meinen körperlichen Verfall und den dazugehörigen Marsch durch die medizinischen Institutionen mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Das Buch, das so entstanden ist, gibt vielleicht keine definitive Antwort auf die Frage, ob Literatur in schwierigen Situationen Trost bieten kann, für mich hat sich auf jeden Fall erwiesen, dass zumindest das Schreiben über Literatur sehr tröstlich ist. (S. 8)

Und so stellt Steinz (1963 – 2016) in diesen anrührenden, traurigen, witzigen, selbstironischen kurzen Texten 52 Bücher und Textausschnitte in Bezug zu seiner Krankheit, deren körperliche Verwüstungen er nicht unter den Teppich kehrt und von der er weiß, dass er an ihr sterben wird.

Die Bandbreite der angesprochenen Bücher reicht dabei von Karlsson vom Dach bis Sokrates, von Autoren, die bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden, bis zu Thoreau, Orwell, Oblomow und Dem Grafen von Monte Christo.

Hier schreibt einer hinreißend klug, dankbar und unsentimental über sein Leben, seine Ehefrau, seine Bücher, über die Folgen seiner Krankheit und unsere Endlichkeit. Wenn man am Ende des Buches angelangt ist, kann man gleich wieder von vorn beginnen, um von Steinz zu lernen.

Natürlich, niemand möchte sterben. Wenn man glücklich ist, möchte man ewig weiterleben, so wie man auch möchte, dass ein tolles Buch niemals aufhört und ein perfekter Urlaub endlos weitergeht.  Aber sterben muss man trotzdem, und vielleicht ist es besser, dass es geschieht, wenn man mitten im Leben steht und umgeben ist von seinen Liebsten, als wenn man alt und pflegebedürftig ist und seine Tage in Einsamkeit verbringt. Mein Bestreben ist es, meine Augen zufrieden zu schließen und mich so dem Glücksideal von Solon und Herodot anzunähern. (S. 60)

Den Hinweis auf dieses faszinierende Buch verdanke ich der Besprechung auf Peter liest.

 

Autor: buchpost

- mein buchregal: schon lange ein gegengewicht zu beruf und engstirnigkeit - ziele: horizont weiten, mich vergnügen und das wichtige behalten

9 Kommentare zu „Pieter Steinz: Der Sinn des Lesens (OA 2015)“

  1. Was und wie würde man (resp. ich) lesen und leben, wenn man weiß, die eigene Zeit ist begrenzt? Im Grunde eine Frage/Aufgabe, der man sich jeden Tag stellen sollte, will man verantwortlich mit seiner Lebenszeit umgehen.
    Ein toller Tipp, danke, dass Du das hier vorstellst.

    1. Du bringst es auf den Punkt. Und als ich es gelesen habe, dachte ich, dass so viele Bücher rauf- und runterbesprochen werden, doch dieses hier hätte sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Aber wie du sagst, es stellt einen auch in Frage. Und liest sich dabei keineswegs nur traurig und bleischwer. Manchmal musste ich lachen. Manchmal innehalten und die Lektüre unterbrechen. Tolles Buch. Liebe Grüße, Anna

  2. Liebe Anna,
    das Buch hat mich ja beim Lesen Deines Beitrags gepackt. Vielen Dank dafür, sonst hätte ich dieses Buch völlig verpasst (habe Peters Beitrag total übersehen).
    Viele Grüße, Claudia

    1. Hallo Claudia,
      freut mich, wenn ich das Buch schmackhaft machen konnte. Es ist trotz aller Traurigkeit auch ein Buch zur Lebenskunst und sehr geeignet, einen zum Nachdenken über das eigene Leben zu bringen. Liebe Grüße, Anna

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