Sven Stricker: Sörensen hat Angst (2016)

Da hatte ich doch im Januar 2021 die Erstausstrahlung von Sörensen hat Angst, des preisgekrönten Regiedebüts von Bjarne Mädel, verpasst. Aber diese Panne ließ sich dank Mediathek beheben, anschließend festgestellt, dass es sich dabei um die Verfilmung eines Kriminalromans des Schriftstellers und Hörspielregisseurs Sven Stricker handelt. Buch gekauft, gelesen und danach die zwei weiteren bisher erschienenen Bände inhaliert.

Ab sofort kann Stricker meinetwegen bis zu meiner und Sörensens Pensionierung Sörensen-Krimis schreiben, denn das dürfte das erste Mal sein, dass ich einen Kriminalroman gleich wieder von vorn beginnen würde, obwohl ich die Auflösung ja jetzt kenne. Vermutlich fallen einem dann noch viele weitere feine Details auf.

Und natürlich müssen die weiteren Bände von und mit Bjarne Mädel verfilmt werden. Doch um was bzw. wen geht es nun eigentlich?

Sörensen ist ein mittelalter Kriminalhauptkommissar mit einer veritablen Angststörung, die ihm schon sein Familienleben geschreddert hat. Seine Frau hat sich von ihm getrennt und seine kleine Tochter Lotta sieht er dementsprechend viel zu selten. Um allmählich wieder Tritt im Berufsleben zu fassen, nachdem er psychisch angeschlagen längere Zeit hatte aussetzen müssen, lässt er sich von Hamburg nach Katenbüll in Nordfriesland versetzen.

Dort, so hofft er, kann er eine ruhige Kugel schieben, doch – wie könnte es anders sein – schon kurz nach seiner Ankunft wird der Bürgermeister Katenbülls in seinem eigenen Pferdestall ermordet aufgefunden. Und so muss Sörensen, der schließlich seine Angststörung immer noch im Gepäck hat, sich möglichst rasch mit seiner Mitarbeiterin Jennifer Holstenbeck und dem Streber-Praktikanten Malte Schuster zusammenraufen, um herauszufinden, was tatsächlich in dieser eher trostlos wirkenden Kleinstadt vor sich geht.

Was mich hier so beeindruckt – und das gilt genauso für die weiteren Bände Sörensen fängt Feuer (2018) und Sörensen am Ende der Welt (2021) – ist diese hinreißend lässige, süchtig machende Mischung aus lakonischem Understatement und den differenziert ausgearbeiteten Figuren, die einem bei der Lektüre unversehens zu Menschen aus Fleisch und Blut werden, an deren Ergehen man Anteil nimmt. Ja, und spannend ist das Ganze natürlich auch, mit toll ausgearbeitetem Plot, zumal der Autor seine Fälle da ansiedelt, wo das gesellschaftliche Grauen hinter unseren spießigen deutschen Fassaden wohnt.

Stricker nimmt sich Zeit für seine Figuren, es geht weder um schnelle Action, Gemetzel oder billigen Klamauk. Selbst im Stau mit Sörensen zu stehen ist nicht langweilig, da Sörensen sein Gedankenkarussell nur ganz schlecht anhalten kann:

Kurz bevor sein Unmut autoaggressive Züge annehmen konnte, versuchte er die andere Seite zu betrachten, wie man es ihm geraten hatte. Vielleicht hatte es einen Unfall gegeben, dachte er. Das war bestimmt kein menschliches Versagen hier, sondern ein Unfall. Genau. Ein Unfall. Stand ja niemand freiwillig dumm in der Gegend herum. Schlimm war das. So ein Unfall. Viel schlimmer, als einfach nur sinnlos herumzustehen und sich selbst auf die Nerven zu gehen. Irgendjemandem da vorne ging es jetzt wahrscheinlich richtig schlecht. Vielleicht sogar mit Blut, Schweiß und Tränen und eingedrückter Windschutzscheibe. Da wollte er mal besser nichts gedacht haben. Und übte sich in Gleichmut, während seine Finger sich ins Lenkrad krallten. (S. 16)

Sörensen ist aber auch ein Kämpfer, der sich nicht von seiner Angst unterkriegen lassen will. Er beobachtet und hinterfragt quasi pausenlos sich und sein Tun und steht sich damit natürlich oft genug selbst in der Sonne, wobei es in Katenbüll sowieso meistens regnet. Und Cord mag ich auch. Natürlich.

‚Denn jeder Kopf ist ein eigenes Universum. Für Menschen, die noch nie in Katenbüll waren und nie etwas darüber gelesen oder gehört haben, existiert das gar nicht. Katenbüll. Unabhängig davon, ob da irgendwo ein paar Steine und Menschen in der Gegend herumstehen oder nicht. Was sich nicht in deinem Gehirn festsetzt, ist nicht da. Zumindest nicht in deiner Welt. Es gibt nichts außerhalb deines eigenen Gehirns. Wir sind alle in sich abgeschlossene Systeme. Verstehst du, was ich meine?‘ Jennifer zeigte ihm den Vogel […] ‚Philosophie-Grundkurs auf der Müllkippe. Super, Sörensen. Ich würd jetzt gerne mal raus hier.‘ Sörensen nickte. Das war eine angemessene Reaktion, das musste man zugeben. (S. 208)

Hier noch ein Interview mit Stricker und Mädel, das auch auf die Rolle der Angststörung, an der Sörensen leidet, näher eingeht.

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Autor: buchpost

- mein buchregal: schon lange ein gegengewicht zu beruf und engstirnigkeit - ziele: horizont weiten, mich vergnügen und das wichtige behalten

12 Kommentare zu „Sven Stricker: Sörensen hat Angst (2016)“

  1. Hallo Anna! Hm, jetzt hast Du mich zum Nachdenken gebracht. Denn ich hatte eigentlich vor, demnächst mal die Sörensen Hörspiele in der ARD Audiothek zu hören – die drei Folgen dauern jeweils 55 Minuten und sind von Bjarne Mädel eingesprochen worden. Doch nach Deiner begeisterten Rezension überlege ich jetzt, ob das wirklich so eine gute Idee ist oder ob man nicht lieber doch vorher die Bücher lesen sollte.
    Bei Literaturverfilmungen bin ich da immer sehr klar: erst lesen, dann sehen (wenn überhaupt) – andersrum funktioniert das für mich (normalerweise) nicht.
    Und ich fürchte, bei Hörspielen könnte das wohl ähnlich sein.
    Auf jeden Fall: Danke für die schöne Besprechung und zumindest weiß ich, dass ich Sörensen unbedingt – in welcher Form wird sich dann noch zeigen – eine Chance geben sollte.
    Schönen Abend und herzliche Grüße, Barbara

    1. Es gibt Hörspiele von „Sörensen“?! Das ist ja mal ein toller Tipp. Die kann ich dann ja mal beim Stricken hören und mir so die Wartezeit auf die Filme vertreiben. Obwohl du natürlich völlig zu recht schreibst, dass es besser ist, erst einmal zu lesen. Denn 55 Minuten zeichnen vielleicht den Plot gut nach, sicherlich aber nicht die Feinheiten der Charaktergestaltungen.
      Viele Grüße, Claudia

  2. Hallo Barbara,
    die Hörspiele waren sozusagen zuerst da; aus denen sich dann alles Weitere entwickelte. Wären bestimmt auch spannend, aber dank fehlender Informationen habe ich erst im Nachhinein von der Reihenfolge der Projekte erfahren. Ich habe das Pferd sozusagen von hinten aufgezäumt. Normalerweise funktioniert das bei mir auch nur in der Reihenfolge, erst das Buch, dann eventuell der Film. Hier war das für mich aber ausnahmsweise kein Verlust, da zum einen die Verfilmung kongenial ist (Stricker und Mädel haben schon bei diversen Projekten zusammengearbeitet) und da zum anderen beim Buch doch noch vieles zu entdecken war, so als ob man noch etwas genauer hinschauen würde. Bin also gespannt, wie du die Sörensen-Frage angehen wirst. 🙂
    Auch dir noch einen entspannten Abend!
    LG Anna

  3. Liebe Anna,
    das ist ja toll, dass ich hier beim Scrollen deinen „Sörensen“-Beitrag finde. Der auch noch so toll und mitreißend geschrieben ist, dass ich einerseits schmunzeln muss und zum anderen überlege, ob ich die Bände jetzt nicht auch ganz schnell verschlingen muss. Und dann schreibt Barbara von den Hörspielfassungen. Und die Verfilmung hat mir auch so gut gefallen. Ich muss das mal sacken lassen. Jedenfalls habe ich ganz viel Freude gehabt mit deinem Sörensen-Fangirl-Artikel.
    Viele Grüße, Claudia

    1. Hallo Claudia,
      danke für deine liebeswürdigen Worte. Ich fühlte mich trotz vorgerückteren Alters wirklich ein bisschen wie ein Fangirl und verstehe gar nicht, wieso Sörensen nicht noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommt. Also nur zu 🙂 Und jetzt muss ich wohl auch mal schauen, wie so die Hörspielfassungen sind.
      LG Anna

  4. Trotz selbstverordnetem Buchkaufstopp: Nachdem ich den Film angesehen habe, habe ich mit den Krimis geliebäugelt. Nun müssen sie her, nach deiner Rezension, alle drei.

    1. Hallo Birgit,
      erst einmal willkommen im Club der Buchkaufstopperinnen. Ein klein bisschen würde es mir ja leid tun, wenn ich dich schon Anfang Januar zu einem Rückfall verleite. Aber da müssen wir dann eventuell beide einfach durch.
      Liebe Grüße
      Anna

      1. Liebe Anna, ich war schon im Buchladen und der erste Sörensen liegt hier – also der Rückfall ist leider schon da 🙂
        Ich freue mich jetzt richtig auf das Buch, das ist ja auch schön. Herzlichst, Birgit

  5. Feedback eines frischgebackenen Fangirls 😁
    Film (ist noch kurz in der 3sat-Mediathek): Klasse, den sollte man öfter als einmal sehen, um die Details zu genießen.
    Die Hörspiele: Sehr gelungen, alle drei (ich hatte Zeit), jedes auf seine Weise.
    Manko: In den Hörspielen befindet sich der offizielle Schauplatz in Nordfriesland, in der Verfilmung nicht.
    Plus: heftige Geschichten mit melancholischem Humor. Sehr norddeutsch.
    Buch/Bücher: Erwerb ist in Arbeit, bin gespannt, ob da wieder der Vater auftaucht.
    Bonus: In der Audiothek gibt es ein Interview mit Bjarne Mädel über den Film. Sehr angenehm, sehr informativ.
    Vielen herzlichen Dank für den Tipp, das hat alle Chancen, mein Januar-Highlight zu werden! 😁
    Abendgrüße 😁☁️✨🍷🍪👍

    1. Hallo Christiane,
      da ich sozusagen von hinten in die Geschichte gestolpert bin (erst der Film, dann die Bücher), bin ich nun doch auch auf die Hörbücher gespannt. Schön, bald haben wir genügend Fans für einen echten Fanclub zusammen 🙂 und jetzt gehe ich das Interview mit Bjarne Mädel suchen.
      LG Anna

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